Rakowski Protokoll .pdf
Nombre del archivo original: Rakowski Protokoll.pdf
Autor: User
Este documento en formato PDF 1.5 fue generado por Microsoft® Office Word 2007, y fue enviado en caja-pdf.es el 08/01/2016 a las 15:01, desde la dirección IP 84.44.x.x.
La página de descarga de documentos ha sido vista 4778 veces.
Tamaño del archivo: 565 KB (114 páginas).
Privacidad: archivo público
Vista previa del documento
Kristjan (Christian) Jurjewitsch
Rakowskij (Rakowski) – Sowjetdiplomat,
Trotzkist und Hochgradfreimaurer will Stalins
Genickschuß entgehen und packt deshalb aus
über JENE, die sich anmaßen, im Hintergrund
das Geschick der Menschheit zu lenken
1)
Protokoll über die Vernehmung durch den
GPU-Offizier Kuzmin (1938)
2) Anmerkungen von Gerold Bernert (2002)
3) Anmerkungen von Johannes Rothkranz
(1993)
4) Anmerkungen von Johannes Rothkranz
(1996)
5) Wolfgang Bittner (FM) versucht sich an
Hans Werner Woltersdorf (1996)
6) Red Symphony
Rakowskij-Protokoll (Text)
über die Vernehmung des Sowjetbotschafters Kristjan Jurjewitsch
Rakowskij durch den Beamten
der GPU Gabriel G. Kuzmin
am 26. Januar 1938
in Moskau
Kuzmin, i.F.: Kuz.): Wie wir in der Ljubjanka übereinkamen, habe ich
mich darum bemüht, für Sie eine letzte Chance zu erwirken; Ihre
Anwesenheit hier beweist, daß ich dies erreicht habe. Wollen sehen,
ob Sie uns täuschen werden.
Rakowskij, i.F.: Rak.): Ich wünsche und hoffe, daß nicht.
Kuz.: Aber vorher einen Rat von Mann zu Mann: Hier handelt es sich
jetzt um die reine Wahrheit. Nicht um die "Prozeß-Wahrheit", wie sie
im Prozeß im Licht der Geständnisse der anderen Angeklagten
erscheinen muß und sich, wie Sie wissen, völlig der politischen
Notwendigkeit, der "Staatsraison", wie man im Westen sagt,
unterzuordnen hat. Die Notwendigkeiten der internationalen Politik
lassen uns die ganze Wahrheit, die "wahre Wahrheit", geheimhalten.
Ganz gleich, wie der Prozeß verläuft, die Völker und Menschen
werden das erfahren, was sie erfahren sollen - einer aber muß alles
wissen: Stalin. Ihre Worte hier, seien sie wie sie wollen, können Ihre
Lage nicht verschlimmern. Diese läßt ohnehin, wie Sie wissen, keine
Verschlimmerung zu. Sie können sich nur zu Ihren Gunsten
auswirken. Sie können Ihr in diesem Augenblick schon verlorenes
Leben zurückgewinnen. So - nun wollen wir sehen: ihr alle werdet
also bekennen, daß ihr Spione Hitlers im Solde der Gestapo und des
0.K.W. seid, nicht wahr?
Rak.: Ja!
Kuz.: Und ihr seid Spione Hitlers?
Rak.: Ja!
Kuz.: Nein, Rakowskij, nein! Sagen Sie die Wahrheit, nicht die
Prozeßwahrheit !
Rak.: Wir sind keine Spione Hitlers, wir hassen Hitler so, wie Sie ihn
hassen, so wie Stalin ihn hassen kann, vielleicht noch mehr. Aber die
Sache ist sehr kompliziert.
Kuz.: Ich werde Ihnen helfen. Vielleicht weiß ich auch etwas. Ihr
Trotzkisten habt Kontakt mit dem Deutschen Generalstab
aufgenommen, nicht war?
Rak.: Ja!
Kuz.: Seit wann?
Rak.: Das genaue Datum weiß ich nicht, aber bald nach dem Sturz
Trotzkijs, lange bevor Hitler an die Macht kam.
Kuz.: Dann sind Sie also nicht Spione von Hitler persönlich oder von
seinem Regime?
Rak.: Richtig. Wir waren es schon vorher.
Kuz.: Und mit welcher Absicht? Etwa um ihm einen Sieg und einige
russische Gebiete für Deutschland zu schenken?
Rak.: Nein, keinesfalls.
Kuz.: Dann also als gemeine Spione, für Geld?
Rak.: Für Geld? Wir haben keine Mark von Deutschland bekommen.
Hitler hat nicht entfernt genug Geld, um beispielsweise einen
Volkskommissar für innere Angelegenheiten der Sowjetunion zu
kaufen, hat doch dieser zu seiner freien Verfügung ein Budget, das
größer ist als die Vermögen der Ford, Morgan und Vanderbilt
zusammen, ohne auch nur darüber Rechenschaft geben zu müssen.
Kuz.: Also - aus welchem Grunde dann?
Rak.: Darf ich ganz frei sprechen?
Kuz.: Ich bitte Sie darum, dazu habe ich Sie ja aufgefordert.
Rak.: Hatte nicht auch Lenin einen höheren Grund, die Hilfe
Deutschlands anzunehmen, damit er nach Rußland gelangen konnte?
Muß man die Verleumdungen gelten lassen, die dann gegen ihn
geschleudert wurden? Nannte man nicht auch ihn einen Spion des
Kaisers? Seine Verbindung zum Kaiser und das deutsche Eingreifen,
damit die Bolschewisten als Anstifter der Niederlage nach Rußland
gelangten sind doch offensichtlich.
Kuz.: Ob das richtig oder falsch ist, gehört nicht zur Sache.
Rak.: Nein, erlauben Sie mir, dies abzuschließen. Steht nicht fest, daß
Lenins Handlungsweise dem deutschen Staate zu gute kam? Gestatten
Sie: Hier ist der Friede von Brest-Litowsk, in dem gewaltige Gebiete
der Sowjet-Union an Deutschland abgetreten wurden. Wer hat das
Herbeiführen der Niederlage als bolschewistische Waffe schon 1913
proklamiert? Lenin, - ich weiß die Worte seinen Briefes an Gorkij
auswendig: "Der Krieg zwischen Österreich und Rußland würde für
die Revolution sehr nützlich sein, aber es ist nicht sehr
wahrscheinlich, daß Franz Josef und Nikita uns diese Gelegenheit
bieten." Sie sehen: Wir, die sogenannten Trotzkisten, die die
Herbeiführung der Niederlage im Jahre 1905 erfanden, zu welcher
Methode sich dann Lenin 1913 bekennt, wir verfolgen jetzt noch diese
Taktik, die Taktik Lenins ...
Kuz.: Mit dem kleinen Unterschied, Rakowskij, daß heute in der
Sowjetunion der Sozialismus und nicht ein Zar herrscht.
Rak.: Glauben Sie an das Bestehen des Sozialismus in der
Sowjetunion?
Kuz.: Ist denn die Sowjetunion nicht sozialistisch?
Rak.: Für mich nur dem Namen nach. Hier liegt der wahre Grund der
Opposition. Gestehen Sie mir zu - und der reinen Logik nach müssen
Sie es mir zugestehen -, daß wir theoretisch, der Vernunft nach, das
gleiche Recht haben, "Nein" zu sagen, wie Stalin es hat "Ja" zu sagen?
Und wenn der Sieg des Kommunismus es rechtfertigt, daß man die
Niederlage herbeiführe, so hat, wer den Kommunismus durch Stalins
Bonapartismus für verraten und verkauft hält, ebensoviel Recht, die
Niederlage herbeizuführen, wie Lenin es hatte.
Kuz.: Ich glaube, Rakowskij, daß Ihr großer Stil als Dialektiker Sie
zum Theoretisieren verleitet. In der Öffentlichkeit würde ich Ihnen
widersprechen, das ist klar; gut, ich erkenne Ihr Argument an, das
einzig mögliche in Ihrer Lage, obwohl ich glaube, ich könnte Ihnen
beweisen, daß es nur ein Sophisma ist. Doch das zu anderer Zeit, wir
werden noch eine Gelegenheit haben, und ich hoffe, daß Sie mir die
Revanche gestatten werden. Im Augenblick nur soviel: wenn Ihr
Herbeiführen der Niederlage und die Niederlage der Sowjetunion
selbst nur den Zweck hat, den Sozialismus, den wirklichen
Sozialismus, also nach Ihnen den Trotzkismus, durchzusetzen, so ist
in dem Augenblick eine solche Niederlage ziel- und zwecklos, wo
doch alle Ihre Führer und Kadres so konsequent liquidieren würden,
wie wir es getan haben. Die Niederlage würde nur die Thronerhebung
eines "Führers" oder eines faschistischen Zaren zur Folge haben, nicht
war?
Rak.: In der Tat, Ihr Schluß ist richtig.
Kuz.: Nun, wie ich glaube, beweist das deutlich, daß wir schon viel
erreicht haben. Ich, der Stalinist, und Sie, der Trotzkist, haben das
Unmögliche möglich gemacht und sind zu einem Punkt gelangt, in
dem wir übereinstimmen. Wir stimmen darin überein, daß heute die
Sowjetunion nicht besiegt werden darf.
Rak.: Ich bekenne, daß ich nicht geglaubt hatte, mich so einem
intelligenten Manne gegenüber zu sehen. In der Tat, für jetzt und noch
für viele Jahre dürfen wir die Niederlage der Sowjetunion weder
wünschen noch herbeiführen, denn heute - soviel ist sicher - wären wir
gar nicht in der Lage, sie für eine Machtergreifung auszunutzen. Wir
Kommunisten hätten keinen Vorteil davon. So ist die Lage wirklich,
ich stimme darin mit Ihnen überein. Die Zerstörung des stalinistischen
Staates kann uns heute nicht bewegen. Ich sage das, indem ich noch
einmal betone, daß dieser Staat am allermeisten antikommunistisch
ist. Sie sehen, ich bin offen.
Kuz.: Ich erkenne es, und das ist auch der einzige Weg, damit wir uns
verstehen. Ich bitte Sie jedoch noch um eine Erklärung für etwas, was
ich als einen Widerspruch in sich empfinde: Wenn für Sie der
sowjetische Staat der am meisten antikommunistische ist - warum
wünschen Sie heute nicht seine Zerstörung? Ein anderer wäre doch
weniger antikommunistisch, also ein geringeres Hindernis, damit Sie
Ihren reinen Kommunismus einführen könnten ...
Rak.: Nein, das ist eine allzu vereinfachte Deduktion. Auch wenn
Stalins Bonapartismus dem Kommunismus so entgegengesetzt ist wie
Napoleon der Revolution, ist es augenfällig, daß die Sowjetunion doch
weiter eine kommunistische Lehre und Form hat; sie hat einen
formalen, keinen realen Kommunismus. Und wie das Verschwinden
Trotzkijs es Stalin erlaubte, automatisch den realen in den formalen
Kommunismus zu verwandeln, so wird das Verschwinden Stalins uns
erlauben, seinen formalen in einen realen Kommunismus zu
verwandeln. Eine Stunde würde uns genügen. Haben Sie mich
verstanden?
Kuz.: Ja, natürlich. Sie haben uns eine klassische Wahrheit gesagt,
nämlich daß niemand zerstört, was er zu erben wünscht. Nun gut, das
alles ist ein sophistisches Gespinst. Es gründet sich auf eine Annahme,
die von den Tatsachen widerlegt wird, nämlich auf Stalins
Antikommunismus. Gibt es Privateigentum in der Sowjetunion? Gibt
es persönlichen Mehrwert? Gibt es Klassen? Ich will nicht mehr
Tatsachen anführen - wozu auch?
Rak.: Ich habe Ihnen das Bestehen eines Formalkommunismus ja
zugestanden. Alles, was Sie anführen, sind hohle Formen.
Kuz.: So? Und zu welchem Zweck? Etwa aus bloßer Laune?
Rak.: Nein, es ist eine Notwendigkeit! Es ist nicht möglich, die
materialistische Entwicklung der Geschichte aufzuhalten, um so
weniger, je mehr man sie zu bremsen wünscht. Und mit welchen
Kosten! Auf Kosten dessen, daß man sie in der Theorie annehmen
muß, um sie in der Praxis zu hintertreiben. So unbesiegbar ist die
Kraft, die die Menschheit zum Kommunismus drängt, daß nur sie es
vermag, gegen sich selbst gekehrt, die Schnelligkeit der Entwicklung,
genauer gesagt das Fortschreiten der permanenten Revolution,
aufzuhalten.
Kuz.: Ein Fall?
Rak.: Hitler. Das ist der offensichtlichste Fall. Er benötigte den
Sozialismus, um den Sozialismus zu besiegen. Daher sein
antisozialistischer
Sozialismus
das
nämlich
ist
der
Nationalsozialismus. Stalin braucht einen Kommunismus, um den
Kommunismus zu besiegen. Daher sein antikommunistischer
Kommunismus, denn das ist sein Nationalkommunismus. Die
Parallele fällt in die Augen. Aber trotz des Antisozialismus' Hitlers
und des Antikommunismus' Stalins, schaffen beide, gegen ihren
Willen, doch Sozialismus und Kommunismus und viel mehr. Ob sie
wollen oder nicht, ob sie es wissen oder nicht, bauen sie einen
formalen Sozialismus und einen formalen Kommunismus, den wir, die
Erben von Marx, schicksalhaft erben müssen.
Kuz.: Beerben? Aber wer erbt denn? Die Liquidation des Trotzkismus
ist restlos.
Rak.: Auch wenn Sie das sagen, glaube ich es nicht, wie riesenhaft
auch die "Säuberungen" sind - wir Kommunisten überleben sie doch.
Nicht alle Kommunisten kann Stalin erfassen, wie lang auch die Arme
seiner Ochrana sind.
Kuz.: Rakowskij, ich bitte Sie, und notfalls befehle ich es Ihnen, sich
verletzender Anspielungen zu enthalten. Mißbrauchen Sie nicht Ihre
diplomatische Immunität!
Rak.: Nanu, bin ich noch bevollmächtigter Minister? Botschafter?
Von wem?
Kuz.: Genau gesagt, von diesem unerreichbaren Trotzkismus, wenn
wir ihn so nennen wollen.
Rak.: Vom Trotzkismus, auf den Sie anspielen, kann ich nicht
bevollmächtigt sein; er hat mir seine Vertretung nicht übertragen, und
ich habe sie mir nicht genommen. Sie haben sie mir gegeben.
Kuz.: Ich fange an zu vertrauen. Ich notiere zu Ihren Gunsten, daß, als
ich auf den Trotzkismus anspielte, Sie seine Existenz nicht bestritten
haben. Das ist ein guter Anfang.
Rak.: Wie sollte ich es bestreiten? Ich war es ja, der ihn erwähnt hat.
Kuz.: Nachdem wir das Bestehen eines sehr besonderen Trotzkismus
durch gegenseitiges Übereinkommen anerkannt haben, wünsche ich,
daß Sie mir einige Hinweise geben, um die angeführten
Übereinstimmungen auszuwerten.
Rak.: In der Tat, ich kann hinweisen auf das, was mir zur Sache zu
gehören scheint, ohne versichern zu können, daß das immer genau der
Gedankengang von "Jenen" ist.
Kuz.: So habe ich es also zu erwägen.
Rak.: Wir sind darin einig geworden, daß für jetzt die Opposition an
Niederlagen oder dem Sturz von Stalin nicht interessiert sein kann,
denn wir haben nicht die physische Möglichkeit, ihn zu ersetzen.
Darin stimmen wir beide überein. Nun aber eine unbestrittene
Tatsache: Der potentielle Angreifer besteht. Da ist dieser große
Nihilist Hitler, der die gefährliche Pistole der Wehrmacht gegen den
ganzen Horizont richtet. Mit oder ohne unser Zutun - wird er gegen
die Sowjetunion das Feuer eröffnen? Lassen Sie uns übereinkommen,
daß das für uns die entscheidende Unbekannte ist. Halten Sie das
Problem für richtig gestellt?
Kuz.: Es ist richtig gestellt. Jedoch für mich gibt es dabei keine
entscheidende Unbekannte. Ich halte den Angriff Hitlers auf die
Sowjetunion für unbedingt sicher.
Rak.: Warum?
Kuz.: Einfach deswegen, weil der, der ihm Befehle gibt, es so
anordnet. Hitler ist nur ein Kondottiere des internationalen
Kapitalismus.
Rak.: Ich gestehe die Existenz der Gefahr zu, aber von da bis zur
Verkündung, daß ein Angriff Hitlers auf die Sowjetunion unbedingt
sicher sei, klafft ein Abgrund.
Kuz.: Den Angriff auf die Sowjetunion bestimmt schon das innerste
Wesen des Faschismus selbst; außerdem drängen ihn dazu alle
kapitalistischen Staaten, die ihn zu seiner Wiederaufrüstung
ermächtigt haben sowie zur Besitzergreifung aller wirtschaftlichen
und strategischen Basen dafür. Das ist zu augenfällig.
Rak.: Sie vergessen etwas sehr Wichtiges: Die Wiederaufrüstung
Hitlers und die Möglichkeiten und Straflosigkeiten, die ihm die
Versailler Nationen bis jetzt gegeben haben, merken Sie wohl, haben
sie ihm in einer besonderen Zeit gegeben ... nämlich als die
Opposition noch da war, als wir noch einen besiegten Stalin hätten
beerben können. Halten Sie dies für ein zufälliges zeitliches
Zusammenfallen?
Kuz.: Ich sehe keine Verbindung zwischen der Tatsache, daß die
Nationen von Versailles die deutsche Wiederaufrüstung gestattet
haben, und dem Bestehen der Opposition. Die Tragweite des
Hitlerismus ist in sich völlig klar und logisch. Der Angriff auf die
Sowjetunion findet sich seit ältester Zeit in seinem Programm. Die
Zerstörung des Kommunismus und die Ausdehnung nach Osten sind
ein Dogma in "Mein Kampf", diesem Talmud des
Nationalsozialismus. Und daß Ihre Politik der Niederlage diese
bekannte Drohung hat benutzen wollen, ist angesichts Ihrer
Gesinnung natürlich.
Rak.: Ja, auf den ersten Blick erscheint das alles logisch und natürlich,
aber allzu logisch und natürlich, als daß es stimmen könnte.
Kuz.: Damit es nicht so wäre, damit uns Hitler nicht angreift, müßten
wir auf das Bündnis mit Frankreich vertrauen . . . und das wäre gewiß
geistvoll. Das wäre so dumm, als wollte man darauf vertrauen, daß der
Kapitalismus sich opfern sollte zur Rettung des Kommunismus.
Rak.: Wenn man ohne größere politische Kenntnisse als diejenigen
einer Massenversammlung diskutiert, haben Sie ganz recht. Aber
wenn das Ihr Ernst ist - entschuldigen Sie, dann bin ich enttäuscht. Ich
hielt die politische Bildung der berühmten Polizei Stalins für höher
stehend.
Kuz.: Der Angriff des Hitlerismus auf die Sowjetunion ist außerdem
eine dialektische Notwendigkeit; es heißt soviel, wie den
schicksalhaften Klassenkampf auf die internationale Ebene zu
erheben. Bei Hitler wird notwendigerweise die ganze kapitalistische
Welt stehen.
Rak.: So, angesichts Ihrer scholastischen Dialektik, bilde ich mir eine
noch armseligere Vorstellung von der politischen Bildung des
Stalinismus. Ich höre Sie sprechen, wie etwa Einstein einen
Gymnasiasten über die vierdimensionale Physik sprechen hören
würde. Ich sehe, daß Sie vom Marxismus nur seine Elementarien
kennen, das Demagogische und Populäre.
Kuz.: Falls es nicht zu lang und zu dunkel sein sollte, bitte ich Sie, mir
etwas von dieser "Relativität" und "Quantentheorie" des Marxismus
zu enthüllen.
Rak.: Keine Ironie! Ich spreche getragen von einem besseren
Wunsche. In diesem gleichen Elementar-Marxismus, den man Ihnen
noch auf Stalins Universitäten beibringt, können Sie einen Grund
finden, die Ihrer These über die Gewißheit des Angriffes Hitlers auf
die Sowjetunion widerspricht. Man lehrt ja immer noch als Eckstein
des Marxismus, daß der innere Widerspruch die unheilbare und
tödliche Krankheit des Kapitalismus ist - oder nicht?
Kuz.: Das stimmt.
Rak.: Und wenn das so ist, wenn der Kapitalismus am dauernden
inneren Widerspruch auf wirtschaftlichem Gebiet leidet? Das
wirtschaftliche und das politische Gebiet sind keine Einheiten in sich,
es sind Zustände oder Dimensionen der sozialen Einheit, und die
inneren Widersprüche entstehen auf dem sozialen Gebiet und wirken
sich aus auf wirtschaftlichem oder politischem Gebiet oder, je nach
dem, auch auf beiden. Es wäre absurd, Fehlbarkeit auf
wirtschaftlichem Gebiet, aber Unfehlbarkeit auf politischem Gebiet
annehmen zu wollen, etwa als Voraussetzung dafür, daß sich Ihre
These vom Angriff auf die Sowjetunion bestätigt.
Kuz.: So bauen Sie in allem auf den inneren Widerspruch, die
Schicksalhaftigkeit, den unvermeidlichen Irrtum, denen die
Bourgeoisie unterliegen muß, sollte der Angriff Hitlers auf die
Sowjetunion vermieden werden. Ich bin Marxist, Rakowskij, aber hier
unter uns, und ohne irgend einen Kämpfer beleidigen zu wollen, sage
ich Ihnen, daß ich bei all meinem Glauben an Marx doch die Existenz
der Sowjetunion nicht einem Irrtum ihrer Feinde zuschreiben möchte und Stalin wohl auch nicht.
Rak.: Ich aber doch ... Nein, sehen Sie mich nicht so an, ich mache
weder Scherze, noch bin ich verrückt.
Kuz.: Gestatten Sie mir wenigstens meine Zweifel zu hegen, solange
Sie mir nicht Ihre Behauptung beweisen können.
Rak.: Sehen Sie, wie recht ich hatte, Ihre marxistische Bildung für
mittelmäßig zu halten? Ihre Gründe und Reaktionen sind doch
diejenigen eines Kämpfers aus Reih und Glied.
Kuz.: Und sind sie nicht wahr?
Rak.: Ja, wahr für den kleinen Zellenobmann, den Bürokraten und die
Masse. Angebracht für die Leute, die in Reih und Glied kämpfen ...
Die müssen das glauben und buchstäblich wiederholen ... Hören Sie
mich vertraulich - es geht mit dem Marxismus wie mit den antiken
esoterischen Religionen; ihre Gläubigen mußten auch nur das
Elementare, ja das Grobe kennen, wenn man den Glauben erwecken
wollte, der etwas absolut Notwendiges ist, in der Religion wie in der
Revolution.
Kuz.: Werden Sie mir nicht jetzt einen mysteriösen Marxismus
enthüllen wollen, etwas wie eine neue Freimaurerei?
Rak.: Nein, nichts von Esoterik. Im Gegenteil - ich werde es Ihnen mit
der Klarheit des hellen Mittags zeigen. Der Marxismus, noch ehe er
ein philosophisches System, ein System der Wirtschaft oder Politik
ist, ist eine Verschwörung für die Revolution. Und da die Revolution
für uns die einzige absolute Wirklichkeit ist, so sind Philosophie,
Wirtschaft und Politik nur insoweit Wahrheit, als sie zur Revolution
führen. Die innere, sagen wir die subjektive Wahrheit in der
Philosophie, Wirtschaft, Politik und auch in der Moral besteht
überhaupt nicht, sie kann nur Wahrheit oder Irrtum im Sinne
wissenschaftlicher Abstraktion sein. Diese aber ist für uns der
Dialektik der Revolution untergeordnet - der einzigen Wirklichkeit
und darum der einzigen Wahrheit, und darum muß sie es auch für
jeden echten Revolutionär, also auch für Marx, sein und sich also auch
so auswirken. Erinnern Sie sich jenes Satzes von Lenin, als jemand
ihm entgegenhielt, daß seine Absicht der Wirklichkeit
entgegenstände?
"Ich spüre es durch die Wirklichkeit" sagte er. Glauben Sie, daß Lenin
eine Albernheit gesagt hat? Nein, für ihn war jede Wirklichkeit relativ
gegenüber der einen und absoluten: der Revolution.
Marx war genial. Wenn sein Werk nur eine gründliche Kritik des
Kapitals wäre, so stellte es schon eine wissenschaftliche Leistung
ohnegleichen dar; aber wo es die Kategorie der Meisterwerke erreicht,
da wird es zur ironischen Schöpfung: "Der Kommunismus muß
triumphieren, weil sein Feind, das Kapital, ihm den Triumph
verschafft." Das ist die Leitthese von Marx. Gibt es eine größere
Ironie? Damit man ihm glaubte, genügte es, den Kapitalismus und den
Kommunismus zu entpersönlichen, das menschliche Wesen in ein
rationales Wesen zu verwandeln wie ein wunderbarer Taschenspieler.
Das war sein geniales Hilfsmittel, um den Kapitalisten, die die
Wirklichkeit des Kapitals darstellen, zu sagen, daß der Kommunismus
durch ihre angeborene Idiotie triumphieren würde. Denn ohne die
dauernde Idiotie des 'homo oeconomicus' kann es in ihm nicht den von
Marx proklamierten dauernden inneren Widerspruch geben. Zu
erreichen, daß der 'homo sapiens' sich in den 'homo stultus'
verwandelt, heißt eine magische Macht zu besitzen, heißt fähig zu sein
zu bewirken, daß der Mensch auf der zoologischen Leiter wieder bis
zur untersten Stufe herabsteigt, nämlich zur Bestie. Nur weil die
Existenz des 'homo stultus' in dieser Epoche der Höhe des
Kapitalismus gegeben ist, kann Marx seine axiomatische Gleichung
formulieren: Innerer Widerspruch + Zeit = Kommunismus. Glauben
Sie mir, wenn wir Eingeweihten ein Bild von Marx sehen, selbst wenn
es sich hier über dem Haupteingang der Lubjanka brüstet, können wir
einen inneren Lachanfall nicht unterdrücken - wir sehen ihn hinter
seinem Bartfußsack über die ganze Menschheit lachen.
Kuz.: Sind Sie tatsächlich im Stande, sich über den wunderbarsten
Gelehrten der Epoche lustig zu machen?
Rak.: Ich mich lustig machen? Nein - das ist Bewunderung! Damit es
Marx glücken konnte, so viele Männer der Wissenschaft zu täuschen,
mußte er ihnen allen überlegen sein. Jetzt aber, um Marx in seiner
ganzen Größe beurteilen zu können, müssen wir uns den wirklichen
Marx anschauen, den Revolutionär, den Marx des kommunistischen
Manifestes. Das heißt Marx den Konspirator, denn während seines
ganzen Lebens lebte die Revolution ja schon im Zustand der
Konspiration. Nicht umsonst dankt ja die Revolution ihre Erfolge und
endlichen Siege diesen Männern der konspirativen Arbeit.
Kuz.: Leugnen Sie also den dialektischen Prozeß der inneren
Widersprüche des Kapitalismus im Endtriumph des Kommunismus?
Rak.: Seien Sie versichert, daß, wenn Marx geglaubt hätte, daß der
Sieg des Kommunismus lediglich durch den inneren Widerspruch im
Kapitalismus kommen würde, so hätte er den inneren Widerspruch
gewiß nicht ein einziges Mal auf den Tausenden von Seiten seines
wissenschaftlich-revolutionären Werkes erwähnt. Das wäre ein
kategorischer Imperativ der wirklichen, nämlich revolutionären, nicht
der wissenschaftlichen Natur von Marx gewesen. Ein Revolutionär,
ein Konspirateur enthüllt doch niemals dem Gegner das Geheimnis
seines Sieges. Er gibt ihm doch niemals Information - er gibt ihm
"Desinformation", wie Sie es in der Gegenspionage zu tun pflegen.
Nicht war?
Kuz.: Damit kommen wir also nach Ihrer Darstellung zu dem Schluß,
daß es keine Widersprüche im Kapitalismus gibt, und daß, wenn Marx
auf solche hinweist, dies nur ein strategisch-revolutionäres Hilfsmittel
ist. So ist es doch? Aber die kolossalen, dauernd zunehmenden
Widersprüche im Kapitalismus sind doch vorhanden. Daraus also
ergibt sich, daß Marx lügend die Wahrheit sagte.
Rak.: Sie werden als Dialektiker gefährlich, wenn Sie den Zügel der
scholastischen Dogmatik zerreißen und Ihrem eigenen Ingenium freie
Bahn lassen. Es stimmt - Marx sagte lügend die Wahrheit. Er log, als
er den Irrtum, den inneren Widerspruch als "Konstante" der
Wirtschaftsgeschichte des Kapitals proklamierte und sie für "natürlich
und schicksalhaft" erklärte; jetzt aber: er sagte die Wahrheit, denn er
wußte bereits, daß die Widersprüche sich in steigendem Maße
produzieren und vermehren würden bis zu ihrem Höhepunkt.
Kuz.: Dann - jetzt werden Sie antithetisch.
Rak.: Hier besteht keine Antithese. Marx täuscht aus taktischen
Gründen über den Ursprung der Widersprüche im Kapitalismus, nicht
über ihr augenfälliges Bestehen hinweg. Marx wußte, wie sie sich
erzeugen, verschärfen und endlich die totale Anarchie der
kapitalistischen Produktion als Einleitung zum Triumph der
kommunistischen Revolution bewirken würden. Er wußte, daß sie sich
ereignen würden, weil er diejenigen kannte, die sie produzierten.
Kuz.: Es ist eine eigenartige Neuheit, jetzt zu entdecken, daß es nicht
das Wesen und ihm eingeborene Gesetz des Kapitalismus ist, das ihn
dazu bringt, sich "selbst zu töten", wie es mit einer glücklichen
Formulierung,
Marx
bestätigend,
ein
bürgerlicher
Wirtschaftswissenschaftler, Schmalenbach, ausgesprochen hat. Aber
mich interessiert sehr, ob wir so zum Persönlichen kommen werden.
Rak.: Haben Sie es noch nicht gespürt? Haben Sie nicht bemerkt, wie
sich bei Marx Wort und Werk widersprechen? Er proklamiert die
Notwendigkeit, ja Schicksalhaftigkeit des inneren Widerspruches im
Kapitalismus und weist auf den Mehrwert und die Akkumulation des
Kapitals hin. Er weist so auf eine echte Wirklichkeit hin. Der größeren
Konzentration der Produktionsmittel - sagt er scharfsinnig - entspricht
die größere proletarische Masse, die größere Kraft, um den
Kommunismus durchzusetzen, nicht war? - Nur aber, zur gleichen
Zeit, da er dies proklamiert, gründet er die Internationale. Und die
Internationale ist im Klassenkampf des Tages "reformistisch", das
heißt, eine Organisation, um den Mehrwert zu begrenzen, und, wenn
möglich, zu beseitigen. Daher ist objektiv die Internationale nach der
Theorie von Marx eine kontrarevolutionäre, antikommunistische
Organisation.
Kuz.: Und das bedeutet, daß Marx ein Kontrarevolutionär, ein
Antikommunist wäre?
Rak.: Da sehen Sie, wie man eine bloße marxistische
Elementarbildung ausbeuten kann. Die Internationale als
kontrarevolutionär und antikommunistisch mit logischer und
doktrinärer Klarheit zu bezeichnen, das bedeutet in den Tatsachen nur
ihre sichtbare und sofortige Wirkung, in den Texten nur den
Buchstaben zu sehen. Zu so absurden Ergebnissen kommt man,
gerade weil sie einleuchtend zu sein scheinen, wenn man vergißt, daß
Worte und Taten im Marxismus den strengen Regeln der höheren
Wissenschaft untergeordnet sind: den Regeln der Konspiration und
der Revolution.
Kuz.: Werden wir endlich zu einem endgültigen Schluß kommen?
Rak.: Gleich. Wenn der Klassenkampf auf wirtschaftlichem Gebiet in
seiner nächsten Wirkung reformistisch und daher den ersten
theoretischen Voraussetzungen für den Durchbruch des
Kommunismus entgegengesetzt ist, so ist er in seiner echten und
wirklichen Bedeutung rein revolutionär. Aber, wie ich noch einmal
wiederhole, untergeordnet den Regeln der Konspiration, das heißt der
Verschweigung und Verbergung seines wahren Zieles. Die
Beschränkung des Mehrwertes und damit der Akkumulation auf
Grund des Klassenkampfes ist nur der Schein, eine Art
Spiegelfechterei, um die erste revolutionäre Bewegung der Masse
auszulösen. Der Streik ist schon ein Versuch zur revolutionären
Mobilmachung. Unabhängig davon, ob er gelingt oder scheitert, ist
seine wirtschaftliche Wirkung anarchisch. Endlich ist dieses Mittel zur
Verbesserung der wirtschaftlichen Lage einer Klasse in sich schon
eine Verarmung der allgemeinen Wirtschaft; ganz gleich wie Umfang
und Ergebnis eines Streikes sind, ist er immer ein Aderlaß an der
Produktion. Allgemeines Ergebnis: mehr Elend, aus dem sich die
Arbeiterklasse nicht befreit. Das ist schon etwas. Aber das ist nicht die
einzige Wirkung, nicht einmal die Hauptwirkung. Wie wir wissen, ist
das einzige Ziel des Klassenkampfes auf wirtschaftlichem Gebiet,
mehr zu verdienen und weniger zu arbeiten. Ins Wirtschaftliche
übersetzt: mehr zu verbrauchen und weniger zu erzeugen. Ein so
absurdes Wirtschaftsverfahren - nach unserem Lexikon ein solcher
"innerer Widerspruch" -, unbemerkt von den Massen, die im
Augenblick durch eine Lohnerhöhung verblendet sind, wird
automatisch durch eine Preiserhöhung ausgeglichen, selbst dann,
wenn diese mit staatlichem Zwang eingeschränkt wird; der
Widerspruch, mehr verbrauchen als erzeugen zu wollen, wird durch
einen anderen ausgeglichen: die Geldinflation. Und so ruft man diesen
circulus vitiosus von Streik, Hunger, Inflation, Hunger immer wieder
hervor.
Kuz.: Außer, wenn der Streik auf Kosten des Mehrwertes vom
Kapitalismus stattfindet.
Rak.: Theorie, reine Theorie! Unter uns gesagt, nehmen Sie irgendein
Wirtschaftsjahrbuch irgendeines Landes und teilen Sie den Ertrag
unter die Lohnempfänger und Sie werden sehen, was für ein
"außerordentlicher" Quotient dabei herauskommt. Dieser Quotient ist
das Konterrevolutionärste der Welt, und wir müssen ihn als größtes
Geheimnis hüten. Denn wenn wir von der theoretischen Dividende die
Löhne und die Direktionskosten, die ja durch die Beseitigung des
Eigentümers erforderlich werden, abziehen, so bleibt fast immer eine
passive Dividende für die Proletarier. Mehr noch, wenn wir die
Verminderung des Produktionsvolumens und das Absinken der
Qualität einsetzen. Wie Sie sehen, ist die Behauptung, daß der Streik
ein Kampf für das unmittelbare Wohlsein des Proletariats sei, nur ein
Vorwand, ein notwendiger Vorwand, um es zur Sabotage an der
kapitalistischen Produktion zu treiben. Dadurch vereint man die
Widersprüche des bürgerlichen und des proletarischen Systems und
schafft eine doppelte Waffe der Revolution. Es liegt auf der Hand, daß
dies nicht von selbst eintreten kann, denn es besteht eine Organisation,
Führer, Disziplin und vor allem keine Dummheit. Könnten Sie nicht
den Verdacht hegen, daß die berühmten inneren Widersprüche des
Kapitalismus, besonders der Finanz, auch von jemandem organisiert
sein könnten? Als Grundlage der Einführung erinnere ich Sie daran,
daß die proletarische Internationale bei der Auslösung von Inflation
mit der Finanz-Internationale übereinstimmt. Und wo es
Übereinstimmung gibt, kann es sich auch um ein Abkommen handeln.
Das sind Ihre eigenen Worte.
Kuz.: Ich sehe einen so enormen Widersinn oder den Versuch, ein
neues Paradoxon zu entwickeln, daß ich es mir nicht einmal vorstellen
könnte. Es scheint, als wollten Sie das Bestehen einer Art
kapitalistischen Internationale, einer anderen, nur entgegengesetzten
Komintern behaupten.
Rak.: Ganz richtig. Als ich Finanz-Internationale sagte, personifizierte
ich sie genau so, wie wenn man Komintern sagt, aber mit der
Anerkennung einer "Kapintern" sage ich nicht, daß sie die Feindin ...
Kuz.: Wenn Sie wollen, daß wir die Zeit mit Spitzfindigkeiten und
Phantasien vertun, so haben Sie dafür einen schlechten Augenblick
gewählt.
Rak.: Glauben Sie vielleicht, ich sei die Lieblingssklavin aus
"Tausend und einer Nacht", die Abend für Abend ihre
Einbildungskraft verschwendet, um ihr Leben zu retten? Nein, wenn
Sie glauben, daß ich abschweife, irren Sie. Um aber dahinzukommen,
wohin zu gelangen wir uns vorgenommen haben, muß ich Ihnen
vorher Klarheit über wichtige Dinge verschaffen angesichts Ihrer
völligen Unkenntnis auf dem Gebiet des "höheren Marxismus". Ich
kann von einer solchen Klarstellung nicht absehen, denn ich weiß
wohl, daß im Kreml die gleiche Unbildung herrscht. Sagen Sie mir, ob
ich fortfahren soll.
Kuz.: Sie können fortfahren, aber ich sage Ihnen offen: wenn alles nur
auf eine phantasievolle Unterhaltung hinausläuft, wird Ihr Vergnügen
einen sehr bösen Epilog haben. Sie sind gewarnt.
Rak.: Ich fahre fort, als hätte ich nichts gehört.
Da Sie ein Scholastiker des "Kapitals" sind und ich Ihre induktiven
Begabungen erwecken möchte, werde ich Sie an etwas Besonderes
erinnern. Beachten Sie, mit welcher Geistesschärfe Marx gegenüber
dem rudimentären Industrialismus Englands in seiner Zeit den ganzen
zukünftigen riesenhaften Industrialismus ausmalt, wie er ihn analysiert
und geißelt, wie abstoßend er den Industriellen malt. Die Phantasie
von Ihnen wie von den Massen, wenn sie sich die menschliche
Verkörperung des ungeheuerlichen "Kapitals" vor Augen hält, sieht
sie so, wie sie Marx gemalt hat: ein dickbäuchiger Industrieller,
Brasilzigarre im Maul, zufrieden rülpsend und die Frau oder Tochter
des Arbeiters verführend. Ist es nicht so? Andererseits erinnern Sie
sich an die Mäßigung von Marx und seine bürgerliche Bravheit, wenn
er die Währungsfrage darstellt. Im Gelde erscheinen seine berühmten
inneren Widersprüche nicht. Die Finanz, als Einheit in sich, besteht
für ihn nicht, und der Handel und Geldumlauf sind für ihn Folge des
bösen kapitalistischen Produktionssystems, dem sie völlig
untergeordnet und von dem sie bestimmt sind. In der Geldfrage
erscheint Marx als Reaktionär, und das war er, zur größten
Überraschung, obwohl er jenen fünfzackigen Stern - gleich dem
Sowjetstern - vor Augen hatte der ganz Europa mit seinem Glanz
erfüllte: die fünf Brüder Rothschild mit ihren Banken, die Herren über
die größte Akkumulation des Kapitals, die die Welt bisher gesehen
hatte. An dieser ungeheueren Tatsache, die die Einbildungskraft jener
Zeit blendete, geht Marx unbemerkt vorüber. Das ist doch sonderbar
nicht? Vielleicht ergibt sich aus dieser besonderen Blindheit von Marx
ein gemeinsames Phänomen in den Revolutionen der letzten Zeit. Wir
alle können beweisen, daß, wenn die Massen sich einer Stadt oder
Nation bemächtigen, sie immer eine fast abergläubische Furcht vor
Banken und Bankiers zeigen. Sie haben Könige, Generale, Bischöfe,
Polizisten, Priester und andere Vertreter der gehaßten Vorrechte
umgebracht, haben Kirchen, Paläste und sogar Stätten der
Wissenschaft geplündert und in Brand gesetzt, aber als
wirtschaftlich-soziale Revolutionäre haben sie das Leben der Bankiers
respektiert und die prächtigen Bankgebäude unverletzt gelassen. Nach
meinen Aufzeichnungen bis zu meiner Verhaftung wiederholt sich
heute das Gleiche ...
Kuz.: Wo?
Rak.: In Spanien. Wissen Sie das nicht? Und jetzt sagen Sie mir:
kommt Ihnen das alles nicht ganz außergewöhnlich vor? Ich weiß
nicht, ob Sie die sonderbare Ähnlichkeit von Internationaler Finanz
und Internationalem Proletariat bemerkt haben. Man könnte sagen,
daß das eine ein Spiegelbild des anderen ist, und wenn es ein
Spiegelbild ist, dann ist es das Proletariat, denn es ist moderner als die
Finanz.
Kuz.: Wo sehen Sie eine Ähnlichkeit bei so entgegengesetzten
Dingen?
Rak.: Objektiv gesehen sind sie identisch. Ja, wie ich gezeigt habe, ist
es die Komintern, unterstützt von den Reformisten und dem ganzen
Gewerkschaftswesen, die die Anarchie der Produktion, die Inflation,
das Elend und die Verzweiflung der Massen hervorruft, und die
Internationale Finanz, bewußt oder unbewußt von der Privatfinanz
unterstützt, schafft die gleichen Bedingungen, nur vervielfacht. Wir
können uns schon die Gründe vorstellen, warum Marx die inneren
Widersprüche der Finanz vertuschte, die seiner scharfsinnigen
Beobachtung gar nicht verborgen bleiben konnten, wenn er in der
Finanz einen Verbündeten gefunden hatte, dessen Handeln objektiv
betrachtet revolutionär ist und damals schon von außerordentlicher
Bedeutung war.
Kuz.: Unbewußtes Zusammentreffen - kein Bündnis, das eine
Verständigung, Willensübereinstimmung, Vertrag voraussetzen
würde.
Rak.: Wenn es Ihnen recht ist, vertagen wir diesen Aspekt. Jetzt ist es
besser, zur subjektiven Analyse der Finanz überzugehen, oder besser,
schauen wir uns die Persönlichkeit ihrer Vertreter an. Es ist genügsam
bekannt, daß das Geld seinem Wesen nach international ist. Aus dieser
Wirklichkeit ergibt sich, daß die Einheit, die es besitzt und
"sublimiert" kosmopolitisch ist. Die Finanz auf ihrem Gipfelpunkt, als
Selbstzweck, die Internationale Finanz verneint die Nationalität und
erkennt sie nicht an. Sie erkennt auch den Staat nicht an - daher ist sie,
objektiv gesehen, anarchisch, und würde es restlos sein, wenn sie, die
jeden nationalen Staat verneint, nicht notwendigerweise selbst ihrem
Wesen nach ein Staat wäre. Der reine Staat ist nur noch Macht. Und
das Geld ist reine Macht, das Geld ist Staat. Der kommunistische
Überstaat, an dem wir seit einem Jahrhundert bauen und dessen
Schema die Internationale von Marx ist, analysiert ihn und läßt sein
Wesen erkennen. Der Entwurf, das Schema, die Internationale und ihr
Prototyp, die Sowjetunion, sind auch reine Macht. Die wesenhafte
Identität beider Schöpfungen ist vollkommen. Das ist etwas
Schicksalhaftes; denn die Persönlichkeit ihrer Urheber war auch
identisch: Finanzmann und Kommunist sind beide Internationalisten.
Beide, mit verschiedenen Begründungen und verschiedenen Mitteln,
bekämpfen den bürgerlichen Nationalstaat. Der Marxist, um ihn in
den kommunistischen Überstaat einzugliedern, deshalb nämlich ist er
Internationalist; der Finanzmann verneint den bürgerlichen
Nationalstaat, und seine Verneinung scheint ihm Selbstzweck zu sein;
eigentlich aber ist er kein Internationalist, sondern ein anarchischer
Kosmopolit. Das ist sein Anschein heute - aber wir werden bald
sehen, was er ist und will. Im Negativen, wie Sie sehen, gibt es eine
individuelle Identität der internationalen Kommunisten und der
kosmopolitischen Finanzmänner; als natürliche Folge besteht sie auch
zwischen
der
kommunistischen
Internationale
und
der
Finanz-Internationale.
Kuz.: Zufällige subjektive Ähnlichkeit und objektiv in ihren Gegnern,
die aber im Wurzelhaften und Wesenhaften zerbricht.
Rak.: Erlauben Sie mir, jetzt nicht zu antworten, um die logische
Ordnung nicht zu zerstören. Ich will nur das Grundaxiom
unterstreichen; Geld ist Macht. Geld ist heute der Mittelpunkt der
Gravitation in der Welt. Ich glaube, Sie stimmen damit überein?
Kuz.: Fahren Sie fort, Rakowskij, ich bitte Sie.
Rak.: Zu wissen, wie die Internationale der Finanz dazu kam, Herr des
Geldes zu werden, dieses magischen Talismans, der bis in unsere Zeit
für die Menschen in steigender Entwicklung das geworden ist, was
einst Gott und Nation waren, das ist etwas, das an wissenschaftlichem
Interesse sogar die Kunst der revolutionären Strategie übertrifft - denn
es ist auch Kunst und auch Revolution. Ich werden es Ihnen
auseinandersetzen. Als die Augen der Geschichtsschreiber und der
Masse durch das Geschrei und den Erfolg der Französischen
Revolution geblendet waren, das Volk trunken war vom Sieg, den
König samt den Privilegierten und aller ihrer Macht gestürzt zu haben,
da hatten sie nicht bemerkt, daß eine Handvoll Menschen,
schweigsam, vorsichtig, unauffällig sich der wirklichen Macht des
Königtums bemächtigt hatten, einer magischen, fast göttlichen Macht,
die es besessen hatte, ohne es zu wissen. Die Massen bemerkten nicht,
daß Fremde für sich diese Macht ergriffen hatten, die sie alsbald zu
einer viel härteren Sklaverei als unter dem König zwingen würde,
denn dieser war durch seine religiösen und moralischen Bindungen
und seine Torheit gar nicht fähig gewesen, solche Macht zu
gebrauchen. Daher kam es, daß sich der größten Macht des Königs
solche Männer bemächtigten, deren moralische, intellektuelle und
kosmopolitische Beschaffenheit es ihnen ermöglichte, sie zu
handhaben. Natürlich waren es jene, die von Geburt keine Christen,
wohl aber Kosmopoliten waren.
Kuz.: Was kann diese mythische Macht sein, deren sie sich
bemächtigen?
Rak.: Sie nahmen das königliche Privileg, Münzen zu prägen, an sich
... Lächeln Sie nicht, daß ich nicht glauben muß, Sie wüßten nicht,
was die Münze wirklich ist. Ich bitte Sie, sich einmal in meine Lage
zu versetzen. Meine Stellung Ihnen gegenüber gleicht der eines
Arztes, der einem anderen, vor Pasteur aus dem Tode erweckten Arzt
die Bakteriologie erklären sollte. Aber ich begreife Ihre Unkenntnis
und entschuldige sie. Eine Sprache, die mit Worten jongliert, welche
falsche Vorstellungen über Dinge und Taten erwecken, kann keine
wirklichen, exakten Begriffe vermitteln. Ich habe die Münze genannt,
- natürlich erschien vor Ihrem inneren Auge sofort die Gestalt der
physischen Münze aus Metall oder Papier. Nicht doch! Das ist das
Geld nicht! Die im Umlauf befindliche physische Münze ist ein
richtiger Anachronismus. Wenn sie noch besteht und umläuft, so
geschieht es durch einen Atavismus, nur weil es praktisch ist, eine
Illusion, heute eine reine Fiktion der Phantasie, aufrechtzuhalten.
Kuz.: Ein so brillantes Paradoxon ist kühn, beinahe poetisch!
Rak.: Wenn Sie wollen, brillant, aber es ist kein Paradoxon, was ich
da sage. Auch ich weiß - und das ließ Sie wohl lächeln - daß heute
noch die Staaten auf Metallstücke oder Papier die Bilder ihrer Könige
oder ihre Landeswappen prägen - doch was bedeutet das schon? Die
große Menge des umlaufenden Geldes, das Geld der großen
Transaktionen, die Vertretung des nationalen Reichtums, Münze,
jawohl Münze haben jene Männer, auf die ich anspielte, auszugeben
verhindert. Titel, Anweisungen, Schecks, Wechsel, Indossements,
Diskont, Kurse, Zahlen und immer wieder Zahlen, das hat, wie ein
entfesselter Wasserfall, die Völker überschwemmt. Was war
demgegenüber das Metallgeld und das Papiergeld? "Jene" aber als
sehr feine Psychologen kamen bei der Straflosigkeit der allgemeinen
Unwissenheit zu viel mehr. Noch über die riesige Reihe des
Finanzgeldes hinaus, um ihm einen Umfang bis zum Unendlichen zu
geben und es mit der Schnelligkeit des Gedankens auszustatten,
schufen sie das Kreditgeld ... eine Abstraktion, ein gedachtes Wesen,
eine Ziffer . . . Kredit, Glauben ... Verstehen Sie es schon? Betrug,
falsches Geld mit gesetzlichem Kurs ... Mit anderen Worten, um mich
besser verständlich zu machen, Banken und Börsen und das ganze
Finanzsystem sind eine gigantische Maschine, um eine
Ungeheuerlichkeit gegen die Natur zu begehen, wie Aristoteles es
bezeichnet hat, nämlich das Geld wieder Geld erzeugen lassen, etwas,
das einmal ein Verbrechen gegen die Wirtschaft, im Fall der
Finanzleute auch ein Verbrechen gegen das Strafgesetzbuch ist, denn
es ist Wucher. Ich weiß schon, was nun der Gegeneinwand sein wird,
nämlich, daß sie einen gesetzlichen Zins beziehen. Auch wenn man
dies zugesteht - und das heißt viel zugestehen - so bleibt der Wucher
der gleiche; denn wenn der Zins, den sie nehmen, gesetzlich ist, so
täuschen Sie fälschend ein gar nicht existierendes Kapital vor. Die
Banken haben immer, geliehen oder in produktiver Bewegung, eine
Menge Kreditgeld, Geld in Zahlen, die fünf- bis hundertmal größer ist
als die Summe des ausgegebenen physischen Geldes. Ich will nicht
von den Fällen sprechen, in denen das Kreditgeld - das fabrizierte
Falschgeld! - das als Kapital eingezahlte Geld übertrifft. Wenn man
aber berücksichtigt, daß nicht das wirkliche Kapital, sondern das nicht
existente Kapital Zinsen bringt, dann muß der Zins um so viel mal
unberechtigter sein als das wirkliche Kapital durch diese Fälschung
vervielfacht ist ... Und berücksichtigen Sie bitte, daß das System, das
ich darlege, noch das unschuldigste ist, um Falschgeld herzustellen.
Stellen Sie sich, wenn Sie können, einige wenige Menschen vor mit
einer unumschränkten Macht zum Besitz realer Güter, und es werden
unumschränkte Diktatoren des Wertes im Umsatz sein, also
Diktatoren der Erzeugung und Verteilung, und daher der Arbeit und
des Verbrauches. Wenn Ihre Vorstellungskraft das gestattet, stellen
Sie sich das im Weltmaßstab vor und Sie werden die auf sozialem und
moralischem Gebiet anarchische, also revolutionäre Wirkung
erkennen. Verstehen Sie nun?
Kuz.: Nein, noch nicht.
Rak.: Natürlich - es ist sehr schwer, Wunder zu verstehen.
Kuz.: Wunder?
Rak.: Ja, Wunder! Ist es kein Wunder, wenn sich eine Holzbank in
eine Kathedrale verwandelt? Solch ein Wunder aber haben die
Menschen im letzten Jahrhundert tausendmal erlebt, ohne auch nur
mit der Wimper zu zucken. Denn es ist ein staunenerregendes
Wunder, daß die Bänke, an denen schmierige Wucherer saßen und mit
ihrem Gelde handelten, zu Tempeln wurden, die ihre heidnischen
Säulenfassaden an jeder Ecke der modernen Städte emporrecken und
zu welchen die Menge eilt, besessen von einem Glauben, den nicht
einmal die Himmlischen einzuflößen vermögen, um begeistert alle
Reichtümer der Gottheit "Geld" darzubringen, von der sie meinen, sie
throne im Stahlschrank des Bankiers, ihrer göttlichen Aufgabe
hingegeben, sich bis ins Unendliche zu vermehren.
Kuz.: Das ist die neue Religion der faulenden Bourgeoisie.
Rak.: Gewiß, Religion. Die Religion der Macht!
Kuz.: Also sind Sie ein Dichter der Wirtschaft.
Rak.: Man braucht schon Poesie, um sich eine Idee von der Finanz,
dem genialsten und revolutionärsten Kunstwerk aller Zeiten, zu
machen.
Kuz.: Das ist eine irrige Anschauung. Die Finanz, wie Marx und vor
allem Engels sie definiert haben, wird bestimmt vom kapitalistischen
Produktionssystem.
Rak.: Stimmt, aber umgekehrt: das System der kapitalistischen
Produktion wird bestimmt von der Finanz. Was Engels d a g e g e n
sagt und sogar beweisen will, ist der überzeugendste Beweis d a f ü r,
daß die Finanz über die bürgerliche Produktion herrscht. Weil das so
ist, haben Engels und Marx die Finanz, die gewaltigste Maschine der
Revolution verglichen mit ihr ist die Komintern ein Kinderspielzeug -,
nicht aufdecken und anklagen wollen. Im Gegenteil, unter Benutzung
ihres wissenschaftlichen Talentes mußten sie noch einmal die
Wahrheit im Interesse der Revolution "camouflieren". Und das haben
beide getan.
Kuz.: Die Geschichte ist nicht neu, so etwas, erinnere ich mich, hat
Trotzkij schon vor zehn Jahren geschrieben ...
Rak.: Sagen Sie mir ...
Kuz.: ... als er proklamierte, die Kominform sei eine konservative
Organisation verglichen mit der Börse von New York, und die großen
Bankiers seien die "Schmiede der Revolution".
Rak.: Ja, das sagte er in einem kleinen Buch, in dem er den
Zusammenbruch von England voraussagte. Ja, so sagte er und fügte
hinzu: "Wer drängt England auf den Weg der Revolution?" und er
antwortete: "Nicht Moskau, sondern New York."
Kuz.: Aber erinnern Sie sich, daß er auch behauptete, daß, wenn die
Finanzmänner von New York die Revolution vorbereiteten, es
unbewußt geschähe?
Rak.: Der Grund, den ich angegeben habe, warum Engels und Marx
die Wahrheit camouflierten, gilt auch für Leon Trotzkij.
Kuz.: Ich schätze an Trotzkij nur eine Anschauung mit einem
gewissen literarischen Stil, eine schon reichlich bekannte
Anschauung, mit der er sich dann begnügt hat, nach der, wie Trotzkij
selbst sagt, diese Bankiers "erfüllen unwiderstehlich, unbewußt ihre
revolutionäre Mission".
Rak.: Und Sie erfüllen ihre Mission, obwohl Trotzkij auf sie mit
Fingern zeigt? Sonderbar, daß sie sie nicht ändern!
Kuz.: Die Finanzmänner sind unbewußte Revolutionäre, denn sie sind
es nur objektiv wegen ihrer geistigen Unfähigkeit, die letzten
Wirkungen zu sehen.
Rak.: Glauben Sie das wirklich? Glauben Sie, daß diese wirklichen
Genies unbewußt handeln? Halten Sie die Leute, denen heute die
ganze Welt gehorcht, für ein paar Idioten? Das wäre ein
erschreckender Widerspruch.
Kuz.: Und was wollen Sie sagen?
Rak.: Ganz einfach, ich behaupte, es sind objektiv und subjektiv
Revolutionäre, völlig bewußt.
Kuz.: Die Bankiers? Sind Sie verrückt geworden?
Rak.: Ich nicht. Und Sie? Denken Sie einmal nach. Diese Männer sind
Männer wie Sie und ich. Daß sie Geld besitzen, daß sie Gläubiger
sind, kann nicht das Ende ihres Ehrgeizes darstellen. Wenn etwas in
den Männern im unmittelbaren Verhältnis zu seiner Befriedigung
wächst, so ist es der Ehrgeiz nach Macht. Warum sollten sie nicht den
Trieb zur Herrschaft, zur totalen Herrschaft empfinden, diese
Bankiers? Genauso wie Sie und ich.
Kuz.: Aber wenn sie schon, wie Sie glauben - und ich tue das auch schon die universelle Wirtschaftsmacht besitzen - was können sie sich
denn noch wünschen?
Rak.: Ich habe es schon gesagt: die totale Macht. Eine Macht wie
diejenige Stalins über die Sowjetunion, aber universal.
Kuz.: Eine Macht wie diejenige Stalins? Aber mit umgekehrtem Ziel.
Rak.: Die Macht, wenn sie in Wirklichkeit absolut ist, kann nur eine
sein. Der Gedanke des Absoluten schließt die Vielfalt aus. Insofern
müssen die Macht, welche die "Kapintern" und die, welche die
"Komintern" erstreben, um absolut und beide auf gleichem, nämlich
politischem Gebiet wirksam zu werden, eine identische Macht sein.
Absolute Macht ist Selbstzweck - oder sie ist nicht absolut. Und bis
heute hat man keine Maschine von totalerer Macht als den
kommunistischen Staat erfunden. Die bürgerlich-kapitalistische
Macht, auch in ihrem höchsten Grade, dem cäsarischen, ist eine
beschränkte Macht, denn als es sie theoretisch als Verkörperung der
Gottheit bei Pharaonen und Caesaren im Altertum gab, da war das
Wirtschaftsleben noch so primitiv und der technische Staatsapparat
noch so rückständig, daß immer noch ein freier Raum für den
Einzelmenschen verblieb. Begreifen Sie, daß diejenigen, die relativ
schon über Völker und Regierungen der Erde herrschen, nun auch
absolut herrschen wollen? Begreifen Sie, daß dies das einzige ist, was
sie noch nicht erreicht haben ...
Kuz.: Das ist interessant, mindestens als Fall von Verrücktheit.
Rak.: Weniger Verrückt jedenfalls als die Verrücktheit Lenins, der
davon träumte, die Welt von einem Schweizer Dachzimmer aus zu
beherrschen, oder von Stalin, der das Gleiche während seiner
Verbannung in einer sibirischen Holzhütte geträumt hat. Mir erscheint
ein solcher Ehrgeiz bei den Herren des Geldes von der Höhe
eines New Yorker Wolkenkratzers aus viel natürlicher.
Kuz.: Kommen wir zum Schluß. Wer sind "Jene"?
Rak.: Glauben Sie denn, ich würde hier als Gefangener sein, wenn ich
wüßte, wer sie sind?
Kuz.: Warum?
Rak.: Aus einem einfachen Grunde: wer "Jene" kennt, den versetzen
sie nicht in eine Lage, wo er verpflichtet sein könnte, sie zu nennen.
Das ist eine Elementarregel jeder intelligenten Konspiration, wie Sie
ja auch wissen.
Kuz.: Haben Sie nicht gesagt, daß sie Bankiers sind?
Rak.: Ich nicht. Erinnern Sie sich, daß ich immer "Internationale
Finanz" gesagt habe, und, wenn ich sie persönlich bezeichnen wollte,
habe ich immer "Jene" und nie mehr gesagt. Wenn ich Sie informieren
soll, werde ich immer nur Tatsachen, keine Namen nennen, weil ich
diese nicht kenne. Ich glaube Sie nicht zu täuschen, wenn ich sage,
daß Jene" keine von den Männern sind, die als Inhaber von Ämtern in
der Politik oder im Bankwesen der Weit auftauchen. Soviel ich
verstanden habe, verwenden sie seit der Ermordung von Rathenau dem Rathenau von Rapallo - in Politik und Finanz nur noch
Zwischenmänner. Natürlich Männer ihres vollen Vertrauens, von
einer durch tausend Mittel garantierten Treue. So kann man sicher
sein, daß die Bankiers und Politiker nur ihre "Strohmänner" sind - wie
groß auch ihr Rang sein mag und wie sehr sie persönlich als Urheber
der Ereignisse erscheinen.
Kuz.: Obwohl das zugleich verständlich und logisch ist - könnte Ihre
begründete Unkenntnis nicht vielleicht nur ein Versteckspielen von
Ihnen sein? Nach meinem Eindruck und nach meinen Akten haben Sie
eine zu große Rolle in dieser Verschwörung gespielt, um nicht mehr
zu wissen. Ahnen Sie nicht vielleicht die Persönlichkeit von einem
von "Jenen"?
Rak.: Ja, aber vielleicht glauben Sie mir nicht. Ich bin dazu
gekommen anzunehmen, daß es sich um einen Mann oder Männer mit
einer - wie sage ich es? - mystischen Persönlichkeit handelt, um eine
Art Gandhi, aber ohne seine Auffälligkeit, Mystiker der reinen Macht,
ohne alle groben Zutaten. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Also
Namen und Adresse von "Jenen" weiß ich nicht. Stellen Sie sich vor,
Stalin würde heute die Sowjetunion beherrschen, aber ohne Mauern
und ohne seine Leibwache, mit nicht mehr Garantie für sein Leben als
irgend ein Bürger. Was wäre sein Mittel, um sich vor Attentaten zu
bewahren? Das Mittel jedes Konspirateurs, und wenn er noch so viel
Macht hat: Anonymität!
Kuz.: Es ist Logik in allem, was Sie sagen. Aber ich glaube Ihnen
nicht.
Rak.: Also glauben Sie mir, ich weiß nichts! Wenn ich es gewußt
hätte, wie glücklich würde ich heute sein! Ich säße nicht hier, mein
Leben zu verteidigen! Ich verstehe Ihre Zweifel völlig und auch die
Notwendigkeit, die Sie auf Grund Ihres polizeilichen Berufes
empfinden, etwas Greifbares herauszubekommen. Ihnen zu Gefallen
und auch, weil es für das Ziel, das wir beide verfolgen, nötig ist,
werde ich das Mögliche tun, um Sie zu orientieren.
Wissen Sie, daß die nicht geschriebene Geschichte, die nur wir
kennen, uns als den Gründer der Ersten Internationale des
Kommunismus natürlich geheim Adam Weishaupt angibt? Erinnern
Sie sich seines Namens? Er war der Führer des als " I 1 1 u m i n a t e
n " bekannten Freimaurerordens, dessen Namen er von der zweiten
antichristlichen und kommunistischen Verschwörung des Zeitalters,
der Gnostik, entlehnt hat. Als dieser große Revolutionär, Semit und
Exjesuit, den Triumph der Französischen Revolution voraussah,
entschloß er sich (oder wurde beauftragt - man nennt als seinen Chef
den großen Philosophen Mendelssohn) eine Organisation zu schaffen,
die geheim sein und die Französische Revolution über ihre politischen
Ziele hinaus weitertreiben sollte, um sie in eine soziale Revolution zur
Aufrichtung des Kommunismus zu verwandeln. In jenen heldischen
Zeiten war es eine ungeheuere Gefahr, den Kommunismus auch nur
als Ziel zu erwähnen. Daher alle die Vorsichtsmaßnahmen, Prüfungen
und Mysterien, mit denen er das Illuminatentum umgeben mußte.
Noch fehlte ein Jahrhundert, bis man sich ohne Gefahr von Gefängnis
oder Hinrichtung öffentlich als Kommunist bekennen konnte.
Was man nicht kennt, das ist die Verbindung von Weishaupt und
seinen Anhängern zu dem ersten Rothschild. Das Geheimnis des
ersten Ursprunges von dem Vermögen dieser berühmtesten Bankiers
läßt sich damit erklären, daß sie die Schatzmeister der ersten
Komintern waren. Es bestehen Anzeichen dafür, daß, als jene fünf
Brüder sich in fünf Provinzen des Finanzreiches von Europa teilten,
eine geheimnisvolle Macht ihnen half, dieses sagenhafte Vermögen
anzusammeln. Es könnten jene ersten Kommunisten aus den
Katakomben von Bayern gewesen sein, die über ganz Europa verstreut
waren. Andere aber sagen, ich glaube mit größerem Recht, daß die
Rothschild nicht die Schatzmeister, sondern die Führer jenes ersten
geheimen Kommunisten waren. Diese Auffassung stützt sich auf die
sichere Tatsache, daß Marx und die höchsten Führer der Ersten, nun
schon öffentlichen Internationale, darunter Heine und Herzen, dem
Baron Lionel Rothschild gehorchten, dessen revolutionäres Bild, von
Disraeli, englischer Premier und ebenfalls eine seiner Kreaturen
geschaffen, ihn uns in der Gestalt des Sidonia hinterließ, des Mannes,
der als Multimillionär unzählige Spione, Carbonari, Freimaurer,
Geheimjuden, Zigeuner, Revolutionäre usw. kannte und befehligte.
Das erscheint alles phantastisch, aber es ist erwiesen, daß Sidonia das
idealisierte Bild des Sohnes vom alten Nathan Rothschild darstellt,
wie auch der Kampf beweist, den er gegen Zar Nikolai I. zugunsten
von Herzen geführt hat - einen Kampf, den er gewann. Wenn alles wie
ich glaube, Wirklichkeit ist, was man im Licht dieser Tatsachen
erschließen kann, so könnten wir jetzt schon den Erfinder der
gewaltigen Maschine der Akkumulation und der Anarchie, die die
Internationale Finanz darstellt, beim Namen nennen; es wäre der
gleiche, der die revolutionäre Internationale geschaffen hat.
Etwas Geniales: mit dem Kapitalismus die Akkumulation des Kapitals
in höchstem Maße zu schaffen, das Proletariat zur Arbeitseinstellung
und in die Verzweiflung zu treiben, und zur gleichen Zeit die
Organisation zu schaffen, die die Proletarier vereinigen sollte, um sie
in die Revolution zu treiben. Das wäre das erhabenste Kapitel der
Geschichte. Und mehr noch: Sie erinnern sich eines Satzes der Mutter
der fünf Brüder Rothschild: "Wenn meine Söhne es nicht wollen, so
gibt es keinen Krieg!" Das heißt, sie waren Schiedsrichter und Herren
über Krieg und Frieden, nicht die Kaiser. Können Sie sich eine
Tatsache von derartig kosmischer Bedeutung vorstellen? Sehen Sie
hier nicht schon den Krieg in seiner revolutionären Funktion? Krieg Kommune! Seit damals also war jeder Krieg ein Riesenschritt zum
Kommunismus. Wie wenn eine geheimnisvolle Macht den Wunsch
Lenins befriedigt hätte, den er zu Gorkij äußerte. Erinnern Sie sich 1905 - 1914!
Erkennen Sie zum mindesten an, daß zwei von den drei Hebeln, die
die Welt zum Kommunismus erheben, vom Proletariat weder bedient
sind noch es sein können. Die Kriege wurden weder hervorgerufen
noch geführt von der Dritten Internationale noch von der Sowjetunion
, die es damals noch gar nicht gab. Auch jene kleinen in der
Verbannung schmachtenden Gruppen von Bolschewisten konnten sie
weder hervorrufen, so sehr sie sie herbeiwünschten, noch gar führen.
Das ist sonnenklar. Und noch weniger konnte noch kann die
Internationale oder die Sowjetunion diese ungeheuere Akkumulation
des Kapitals und nationale oder internationale Anarchie der
kapitalistischen Produktion erreichen, einer Anarchie, die fähig ist,
ungeheuere Mengen Lebensmittel zu verbrennen, statt sie den
hungernden Menschen zu geben, fähig, nach jenem malerischen Satz,
den Rathenau ausspie, "zu bewirken, daß die halbe Welt Mist
produziert, und die andere halbe Welt ihn kaufen muß". Endlich kann
es das Proletariat sich nicht gutschreiben, diese in geometrischer
Progression fortschreitende Inflation, die Entwertung den dauernden
Raub des Mehrwertes und des nichtfinanziellen Sparkapitals, des nicht
wucherischen Kapitals, und damit das dauernde Absinken der
Kaufkraft, was zur Proletarisierung des Mittelstandes, des eigentlichen
Feindes der Revolution, führt ... Es ist also nicht das Proletariat, das
den Hebel des Krieges und den Wirtschaftshebel führt. Er ist gewiß
der dritte Hebel, der einzig sichtbare und auffällige, der den
endgültigen Angriff auf die Festung des kapitalistischen Staates macht
und sie nimmt.
Gewiß, sie nimmt, wenn "Jene" sie ihm ausliefern.
Kuz.: Ich sage wieder, daß alles dies, das Sie so literarisch darstellen,
einen Namen hat, den wir schon zum Überdruß in unserer
Unterhaltung, die zu keinem Ende kommt, erwähnt haben, nämlich
"innerer Widerspruch des Kapitalismus", und wenn, wie Sie
behaupten, es einen Willen und eine Aktion gibt, die dem Proletariat
fremd sind, fordere ich Sie auf, mir konkret einen persönlichen Fall zu
nennen.
Rak.: Sind Sie mit einem einzigen zufrieden? - Nun "Jene" haben
politisch den Zar für den russisch-japanischen Krieg isoliert, und die
Vereinigten Staaten haben Japan finanziert, genauer gesagt, Jakob
Schiff, Chef des Bankhauses Kuhn, Loeb & Co., Nachfolger - und
größerer Nachfolger! - des Hauses Rothschild, aus dem Schiff
hervorging. So groß war seine Macht, daß er durchsetzte, daß die in
Asien Kolonien besitzenden Völker den Aufstieg des
fremdenfeindlichen
japanischen
Reiches
stützten,
dessen
Fremdenfeindlichkeit jetzt Europa zu spüren bekommt. Aus den
Gefangenenlagern kamen die besten Kämpfer nach Petrograd,
ausgebildet durch die revolutionären Agenten, die aus Amerika zu
ihnen geschickt worden waren, nachdem die Erlaubnis dazu durch die
Männer, die Japan finanziert hatten, von Japan erlangt worden war.
Der russisch-japanische Krieg mit der organisierten Niederlage der
Heere des Zaren, rief die Revolution von 1905 hervor, die, obwohl
verfrüht, nahe daran war zu siegen. Wenn ihr auch der endgültige
Triumph versagt war, so schuf sie doch die notwendigen politischen
Voraussetzungen für den Sieg von 1917. Und mehr noch. Haben Sie
die Biographie von Trotzkij gelesen? Erinnern Sie sich an seine erste
Zeit als Revolutionär? Er ist noch ein Jüngelchen, war nach seiner
Flucht aus Sibirien einige Zeit bei den Emigranten in London, Paris
und der Schweiz; Lenin, Plechänow, Mártow sehen ihn nur als
vielversprechenden Neuling an. Aber er wagt, schon bei der ersten
Spaltung unabhängig zu bleiben, und möchte Schiedsrichter für die
Einigung sein. Im Jahr 1905 zählt er erst 25 Jahre und kehrt allein
nach Rußland zurück, ohne Partei und eigene Organisation. Lesen Sie
die nicht "gesäuberten" Berichte von Stalin über die Revolution von
1905, die Berichte von Lunatscharski, der kein Trotzkist ist. Trotzkij
steht an der Spitze der Revolution in Petrograd - das ist die Wahrheit.
Nur er geht aus der Revolution mit Prestige und Volkstümlichkeit
hervor. Weder Lenin, noch Martow, noch Plechanow gewinnen sie
oder erhalten sie. Wie und warum steigt der unbekannte Trotzkij auf
und gewinnt auf einmal Autorität über die ältesten und angesehensten
Revolutionäre? Ganz einfach, er hat sich verheiratet. Mit ihm kommt
nach Rußland seine Frau, die Sedowa. Wissen Sie, wer das ist? Das ist
die Tochter von Jivotovsky, eng verbunden mit den Bankiers
Warburg, den Teilhabern und Vettern von Jacob Schiff, der
Finanzgruppe also, die Japan finanziert hat und durch Trotzkij nun
auch die Revolution von 1905 finanziert. Hier haben Sie den Grund,
warum Trotzkij auf einmal an die Spitze der revolutionären
Stufenleiter kam. Und hier haben Sie den Schlüssel für seine wirkliche
Persönlichkeit.
Machen wir einen Sprung nach 1914. Hinter dem Attentat auf den
Erzherzog steht Trotzkij, und das Attentat löst den europäischen Krieg
aus. Glauben Sie wirklich, daß das Attentat und der Krieg bloße
Zufälle sind, wie es auf einem Zionistenkongreß Lord Melchett sagte?
Analysieren Sie im Lichte der "NichtZufälligkeit" die Entwicklung
des Feldzuges in Rußland. Das "Herbeiführen der Niederlage" ist ein
Meisterwerk. Die Hilfe der Alliierten für den Zaren wird so reguliert
und dosiert, daß sie den alliierten Botschaftern als Argument dient,
von der Dummheit Nikolais II. eine Massaker-Offensive nach der
anderen zu erreichen. Die Masse des russischen Fleisches war riesig,
aber nebensächlich. Die organisierten Offensiven führten zur
Revolution. Als sie von allen Seiten droht, ist das Heilmittel die
Einrichtung der demokratischen Republik. Die Republik der
Botschaften, wie Lenin sie nannte - das heißt, man sichert den
Revolutionären Straflosigkeit zu. Aber es fehlt noch etwas, Kerenskij
muß eine weitere Massaker-Offensive loslassen und führt sie durch,
damit die demokratische Revolution sich überschlägt. Und mehr noch
- Kerenskij muß die totale Übergabe des Staates an die Kommunisten
durchführen und vollendet sie, Trotzkij kann "unsichtbar" den ganzen
Staatsapparat übernehmen. Welch sonderbare Blindheit! Das ist die
Wirklichkeit der so viel besungenen Oktober-Revolution: Die
Bolschewisten übernahmen die Macht, die "Jene" ihnen auslieferten.
Kuz.: Sie wagen also zu behaupten, Kerenskij sei ein Komplize von
Lenin gewesen?
Rak.: Von Lenin, nein, aber von Trotzkij, ja, besser gesagt: von
"Jenen"!
Kuz.: Absurd!
Rak.: Können Sie nicht verstehen? Gerade Sie nicht? Das wundert
mich. Wenn Sie, als Spion im Schutz des Geheimnisses um Ihre
Persönlichkeit, es fertigbringen, Befehlshaber einer feindlichen
Festung zu sein - würden Sie nicht die Tore den Angreifern, denen Sie
wirklich dienen, öffnen? Würden Sie nicht ein Besiegter und
Gefangener mehr sein? Vielleicht würden Sie nicht die Gefahr laufen,
beim Angriff auf die Festung zu sterben, wenn ein Angreifer, der nicht
ahnt, daß Ihre Uniform nur eine Maske ist, Sie für einen Feind hält?
Glauben Sie mir: ohne Denkmäler und Mausoleum verdankt der
Kommunismus Kerenskij mehr als Lenin.
Kuz.: Wollen Sie damit sagen, daß Kerenskij sich bewußt und
freiwillig besiegen ließ?
Rak.: Ja, das steht für mich fest. Verstehen Sie das bitte, da ich ja bei
all dem persönlich dabei war. Aber ich werde Ihnen noch mehr sagen:
Wissen Sie, wer die Oktober-Revolution finanziert hat? "Jene" haben
sie finanziert, genau durch die gleichen Finanzleute, die Japan und die
Revolution von 1905 finanziert haben. Jacob Schiff und die Brüder
Warburg, das heißt der große Bund der Banken, eine von den fünf
Federal-Reserve-Banken, die Bank Kuhn, Loeb & Co., wobei sich
andere europäische und amerikanische Bankiers beteiligten, wie
Guggenheim, Hanauer, Breitung, Aschberg von der "Nya Banken" in
Stockholm. Ich war "aus Zufall" in Stockholm dabei und nahm Teil an
der Übertragung der Gelder. Bis Trotzkij kam, war ich der einzige, der
von der revolutionären Seite daran teilnahm. Aber Trotzkij kam
endlich; ich muß betonen, daß die Alliierten ihn aus Frankreich wegen
seiner Tätigkeit für die Niederlage ausgewiesen hatten und daß die
gleichen Alliierten ihn freiließen, damit er im alliierten Rußland für
die Niederlage wirken sollte. Wieder ein Zufall? Wer wird das
geschafft haben? Die Gleichen, die es erreichten, daß man Lenin quer
durch Deutschland fahren ließ! Wenn "Jene" in England erreichen
konnten, Trotzkij, den Wehrzersetzer, aus einem Lager in Canada
herauszuholen und zu bewirken, daß er mit Freipaß durch alle
alliierten Kontrollen nach Rußland fahren konntet so haben andere,
darunter Rathenau, die Fahrt Lenins durch das feindliche Deutschland
durchgesetzt. Wenn Sie einmal die Geschichte der Revolution und des
Bürgerkrieges ohne Vorurteile studieren würden, mit dem Geist einer
polizeilichen Untersuchung, wie Sie es in geringen Fragen mit
weniger Beweismaterial tun, so werden Sie im gesamten Ablauf der
Ereignisse wie in den Einzelheiten und sogar in manchen
anekdotischen Zügen eine Reihe erschreckender "Zufälligkeiten"
finden.
Kuz.: Gut, nehmen wir als Hypothese an, daß das nicht alles Zufall
sei. Was leiten Sie nun an praktischen Wirkungen davon her?
Rak.: Lassen Sie mich diese kleine Geschichte abschließen - nachher
wollen wir beide daraus die Schlüsse ziehen. Trotzkij wird seit seiner
Ankunft in Petrograd ohne Vorbehalt von Lenin zugelassen. Wie Sie
nur zu gut wissen, waren die Meinungsverschiedenheiten zwischen
den beiden in der Zeit zwischen den beiden Revolutionen sehr tief.
Alles ist vergessen, und Trotzkij ist der Meister des Triumphes der
Revolution, ob Stalin das will oder nicht. Warum? Das Geheimnis
davon bewahrt die Frau Lenins, die Krupskaja. Sie weiß, wer Trotzkij
wirklich ist; sie hat auch Lenin überzeugt, Trotzkij aufzunehmen.
Sonst wäre Lenin in der Schweiz blockiert geblieben, das war schon
ein mächtiger Beweggrund für ihn. Und ebenso war es das Wissen
darum, welche Hilfe Trotzkij der Revolution gebracht hat. Lenin
wußte damals, daß Trotzkij das Geld und mächtige internationale
Hilfe brachte; der plombierte Wagen war der Beweis dafür. Dann die
Einheit des ganzen linken revolutionären Flügels, Sozialisten,
Revolutionäre und Anarchisten statt der unbedeutenden
bolschewistischen Partei - auch das ist das Werk Trotzkijs, nicht der
eisernen Unnachgiebigkeit von Lenin. Nicht umsonst ist der alte
"Bund" der jüdischen Proletarier, aus dem alle die Zweige der
Revolution in Rußland stammen, denen er neunzig Prozent seiner
Führer gegeben hat, die wahre Partei des "Parteilosen" Trotzkij
gewesen. Natürlich nicht der offizielle und öffentliche "Bund",
sondern der geheime "Bund" der in alle sozialistischen Parteien
verzweigt war und deren Führer alle unter seiner Leitung stehen.
Kuz.: Auch Kerenskij?
Rak.: Auch Kerenskij und einige nicht sozialistische Parteiführer,
Führer der bürgerlichen Parteien.
Kuz.: Inwiefern das?
Rak.: Vergessen Sie die Rolle der Freimaurerei in der ersten
bürgerlichdemokratischen Phase der Revolution?
Kuz.: Gehorchte Sie auch dem "Bund"?
Rak.: Als unmittelbare Stufe darüber, aber in Wahrheit gehorchte sie
"Jenen".
Kuz.: Trotz der marxistischen Welle, die sich erhob, die auch ihre
Vorrechte und ihr Leben bedrohte?
Rak.: Trotz alledem! Natürlich sahen sie die Gefahr nicht.
Berücksichtigen Sie, daß jeder Freimauerer mit seiner
Einbildungskraft mehr gesehen hat und gesehen zu haben glaubt als
das Wirkliche, denn er bildet sich ein, was er wünscht. Dazu ist die
zunehmende Anwesenheit von Freimaurern in den Regierungen und
Staatsführungen der bürgerlichen Nationen für sie ein Beweis der
politischen Macht ihrer Gesellschaft. Berücksichtigen Sie, daß zu
jener Zeit die Regierenden aller alliierten Nationen mit ganz wenigen
Ausnahmen Freimaurer waren. Das war für sie ein sehr gewichtiges
Argument. Sie hatten den absoluten Glauben, daß die Revolution in
die bürgerliche Republik nach französischem Typ auslaufen werde.
Kuz.: Nach dem Bilde, das Sie mir von Rußland im Jahre 1917 gemalt
haben, müssen sie sehr "schlau" gewesen sein, wenn sie das glauben
sollten ...
Rak.: Das waren sie und das sind sie! Die Freimaurer haben jene erste
deutliche Lektion nicht begriffen, nämlich die Große Revolution, in
der sie eine bedeutsame revolutionäre Rolle gespielt haben und die die
meisten Freimaurer verschlang, voran ihren Großmeister, den Herzog
von Orleans, besser gesagt, den König, der auch Freimaurer war, und
danach Girondisten, Hébertisten, Jakobiner ... und wenn einige
überlebten, so geschah es dank Napoleon Bonaparte und seinem
Putsch im Brumaire.
Kuz.: Wollen Sie damit sagen, daß die Freimaurer bestimmt sind,
durch die Hände der Revolution zu sterben, die von Ihnen selber
herbeigeführt wird?
Rak.: Ganz richtig ... Sie haben eine tief geheim gehaltene Wahrheit
formuliert. Ich bin Freimaurer, Sie werden es gewußt haben, nein?
Also gut. Ich werde Ihnen also das große Geheimnis sagen, das man
immer dem Freimaurer zu enthüllen verspricht - aber das man ihm
weder im 25ten, noch im 33ten, noch im 93ten noch im höchsten
Grade irgend eines der Riten enthüllt. Ich kenne es, selbstverständlich
nicht weil ich Freimaurer bin, sondern weil ich zu "jenen" gehöre.
Kuz.: Und was ist es?
Rak.: Die ganze Bildung des Freimaurers und das öffentliche Ziel der
Freimaurerei geht dahin, alle notwendigen Voraussetzungen für die
kommunistische Revolution zu schaffen und zur Verfügung zu stellen,
natürlich unter verschiedenen Vorwänden, die sie unter ihrem
bekannten Dreispruch verbergen. Und da die kommunistische
Revolution die Liquidation der ganzen Bourgeoisie als Klasse und die
physische Liquidation jedes politischen Führers der Bourgeoisie
voraussetzt, ist das wirkliche Geheimnis der Freimaurerei der
Selbstmord der Freimaurerei als Organisation und der physische
Selbstmord jedes irgendwie bedeutenden Freimaurers. Nun verstehen
Sie schon, warum, wenn dem Freimaurer ein solches Ende
vorbehalten ist, man Mysterien, Theaterszenen und soundsoviel
"Geheimnisse" benötigt - um das wirkliche Geheimnis zu verbergen.
Lassen Sie sich, wenn Sie dazu Gelegenheit haben, nicht entgehen,
sich in irgendeiner zukünftigen Revolution die Geste von Erschrecken
und Blödheit zu betrachten, die auf dem Gesicht eines Freimaurers
erscheint, wenn er kapiert, daß er von den Händen der Revolutionäre
sterben soll. Wie er kreischt und sich auf seine Verdienste um die
Revolution berufen will! Das wird ein Schauspiel, um auch zu sterben
- aber vor Lachen!
Kuz.: Und leugnen Sie noch die angeborene Dummheit der
Bourgeoisie?
Rak.: Ich bestreite sie der Bourgeoisie als Klasse, nicht bestimmten
Teilen von ihr. Das Bestehen von Irrenhäusern beweist noch nicht,
daß der Irrsinn Allgemeingut sei. Die Freimaurerei kann auch ein
Irrenhaus sein, aber in Freiheit.
Ich fahre fort: wenn die Revolution gesiegt hat, vollzieht sich die
Machtergreifung. Es tritt das erste Problem auf: der Frieden und mit
ihm die erste Spaltung innerhalb der Partei, woran die Kräfte der
Koalition, die an der Macht ist, teilnehmen. Ich will nichts erzählen
über den Kampf, der in Moskau zwischen Anhängern und Gegnern
des Friedens von Brest-Litowsk ausgefochten wurde, da es ja
hinlänglich bekannt ist. Ich will lediglich darauf hinweisen, daß die
später so benannte trotzkistische Opposition, die Liquidierten und
diejenigen, die noch liquidiert werden sollen, sich dort schon
abzeichnete. Alle waren gegen die Unterzeichnung des
Friedensvertrages. Dieser Friede war ein Irrtum, ein unbewußter
Verrat von Lenin an der internationalen Revolution. Stellen Sie sich
vor, die Bolschewisten hätten in Versailles in der Friedenskonferenz
und später im Völkerbund gesessen, mit der Roten Armee, verstärkt
und ausgerüstet von den Alliierten, in Deutschland stehend. Man hätte
mit Waffengewalt den Sowjetstaat an die deutsche Revolution
geschmiedet. Ganz anders sähe heute die europäische Landkarte aus.
Aber Lenin, trunken vor Macht, unterstützt von Stalin, der auch schon
vom Alkohol des Befehlenkönnens getrunken hatte, gefolgt von dem
national-russischen Flügel der Partei, setzten sich mit materieller
Gewalt durch. Und so wurde der "Sozialismus in einem Lande"
geboren, das heißt der Nationalkommunismus, der heute mit Stalin
seinen Gipfel erreicht hat. Natürlich gab es Kampf, aber nur in einer
Form und einem Umfang, daß er nicht den kommunistischen Staat
zerstören konnte; das ist die für die Opposition bis heute geltende
Voraussetzung. Das war auch der Grund unseres ersten Scheiterns und
aller späteren Mißerfolge. Aber es gab einen wilden, wenn auch
getarnten Kampf, um nicht unsere Teilnahme an der Macht zu
gefährden. Trotzkij organisierte durch seine Verbindungen das
Attentat der Kaplan gegen Lenin. Auf seinen Befehl tötete Blumkin
den Botschafter v. Mirbach. Der Staatsstreich der Spiridonowa und
ihrer Sozialrevolutionäre geschah in Übereinstimmung mit Trotzkij.
Sein Mann für diese Dinge war unverdächtig, es war jener
Rosenblum, ein litauischer Jude, der den Namen O'Reilly führte,
bekannt als einer der besten Spione des britischen Intelligence
Service. Der Grund für die Auswahl von Rosenblum war, daß er nur
als englischer Spion bekannt war, also England, nicht Trotzkij oder
wir im Falle eines Fehlschlages für Attentate oder Komplotte
verantwortlich gemacht worden wären. So geschah es. Der
Bürgerkrieg ließ uns die konspirative und terroristische Methode
aufgeben, denn er bot uns die Möglichkeit, in unseren Händen
wirkliche Staatsmacht zu haben, als Trotzkij Organisator und Führer
der Roten Armee wurde. Das Sowjetheer, das unablässig vor den
"Weißen" zurückweicht und das Gebiet der Sowjetunion auf den
Umfang des alten Großfürstentums Moskau zusammenschrupfen läßt,
wird wie durch ein Wunder auf einmal siegreich. Wodurch glauben
Sie wohl - durch Wunder oder durch Zufall? Ich werde es Ihnen
sagen: als Trotzkij den Oberbefehl über die Rote Armee übernimmt,
hat er schon in seiner Hand die notwendige Gewalt, um die Macht zu
ergreifen. Die Siege werden sein Prestige und seine Macht steigen
lassen, die "Weißen" können bereits besiegt werden. Glauben Sie
wirklich die amtliche Darstellung, die alles am Wunder des
sowjetischen Sieges der mittelmäßigen, schlecht bewaffneten und
disziplinlosen Roten Armee zuschreibt?
Kuz.: Wem denn sonst?
Rak.: Zu neunzig Prozent ist er "Jenen" zuzuschreiben. Sie dürfen
nicht vergessen, daß die Weißen auf Ihre Art "demokratisch" waren.
Bei ihnen waren die Menschewisten und die Reste aller alten liberalen
Parteien. Innerhalb dieser Kräfte haben "Jene" immer sehr viel Kräfte,
bewußt oder unbewußt, in ihren Diensten gehabt. Als Trotzkij das
Kommando übernahm, bekamen sie Befehl, systematisch die Weißen
zu verraten, und zugleich die Zusage, daß sie mehr oder weniger
schnell an der Sowjetregierung beteiligt werden würden. Maiskij war
einer dieser Männer, einer der wenigen, dem man das Versprechen
gehalten hat, aber auch nur, weil er Stalin von seiner Treue
überzeugen konnte. Als diese Sabotage zusammenwirkte mit der
schrittweisen Verminderung der Hilfe für die weißen Generäle, da
erlitten diese, die außerdem arme Idioten waren, eine Niederlage nach
der anderen. Endlich nahm Wilson in seine berüchtigten 14 Punkte
den Punkt 6 auf, der ausreichte, um für immer jedem Versuch der
"Weißen" gegen die Sowjetunion ein Ende zu setzen. Während des
Bürgerkrieges faßte man Trotzkij für die Nachfolge Lenins ins Auge.
Daran war gar nicht zu zweifeln. Der alte Revolutionär konnte schon
in seinem Ruhm sterben. Wenn er lebend den Kugeln der Kaplan
entging, so würde er wohl nicht lebend der getarnten Euthanasie
entkommen, die man gegen ihn anwandte.
Kuz.: Hat Trotzkij sein Leben abgekürzt? Großer Clou für Ihren
Prozeß? War es etwa Levin, der Lenin behandelte?
Rak.: Trotzkij? Vielleicht hat er eingegriffen. Daß er darum gewußt
hat, ist ganz sicher. Also gut, die technische Durchführung, das
Zusätzliche - wer weiß das? "Jene" haben soviel Kanäle, um zu ihrem
Ziel zu kommen.
Kuz.: Wie es auch sei - die raffinierte Ermordung Lenins ist etwas
derartiges erster Ordnung, daß sie im nächsten Prozeß vorgebracht
werden muß. Was meinen Sie, Rakowskij, erscheint Ihnen das als
nebensächlich, der Urheber? Natürlich, wenn Sie in diesem Gespräch
scheitern ... Der technische Fall paßt zu Ihnen als Arzt gut.
Rak.: Ich rate Ihnen nicht dazu. Fassen Sie diese Sache lieber nicht an;
sie ist zu gefährlich für Stalin selbst. Sie können mit Ihrer Propaganda
machen was Sie wollen; aber "Jene" haben auch ihre Propaganda und
sie ist viel mächtiger und ein viel stärkerer Beweisgrund als alle
Geständnisse, die man Levin, mir oder sonst jemand entreißen könnte.
Das "cui prodest?" läßt in Stalin den Mörder von Lenin sehen.
Kuz.: Was wollen Sie damit sagen?
Rak.: Daß die klassische, untrügliche Regel, um einen Mörder zu
entdecken, heißt: herausbekommen, wem der Mord nützt. Und im
Falle Lenins war derjenige, dem er zugute kam, Ihr Herr Chef, Stalin.
Denken Sie daran und machen Sie nicht diese Einwürfe, die mich
stören und nicht zum Schluß kommen lassen.
Rak.: Es ist offenes Geheimnis, daß, wenn Trotzkij nicht Lenins
Nachfolger wurde, nicht Menschenkraft dem entgegengewirkt hat. Die
Summe der Macht in der Hand Trotzkijs während Lenins letzter
Krankheit war viel größer als er sie benötigte. Schon besaßen wir das
Todesurteil gegen Stalin. Der Brief, den die Krüpskaja ihrem Gatten
entriß, hätte gegen Ihren jetzigen Chef in den Händen eines Diktators
Trotzkij ausgereicht, um ihn zu liquidieren. Aber ein dummer Zufall,
wie Sie schon wissen werden, ließ all unsere Pläne scheitern: Trotzkij
erkrankt an einem Leiden, das ihn zufällig befällt, und im
entscheidenden Augenblick, als Lenin stirbt, ist er monatelang zu
jeder Tätigkeit unfähig. Ein Nachteil neben all den Vorteilen, wenn
alles auf eine Person konzentriert ist. Es ist natürlich, daß ein Trotzkij,
der für die Durchführung seiner Aufgabe vorgebildet war, nicht
plötzlich improvisiert werden kann. Keiner von uns, auch nicht
Sinowjew oder Kamenew, hatten die Ausbildung oder die
notwendigen Hebel in der Hand, was übrigens auch Trotzkij,
eifersüchtig, er könnte ersetzt werden, niemand hatte gestatten wollen.
Als wir also beim Tode Lenins Stalin gegenüberstanden, der im
geheimen eine fieberhafte Tätigkeit entfaltet hatte, sahen wir eine
Niederlage im Zentralkomité kommen. Wir mußten also eine Lösung
improvisieren, und diejenige, die sich bot, hieß, sich Stalin
anzuschließen, stalinistischer als er zu sein, zu übertreiben, also zu
sabotieren. Den Rest kennen Sie - unseren dauernden unterirdischen
Kampf und dauerndes Scheitern gegenüber Stalin, der sich als ein
beispielloses Genie der Polizeikunst erweist. Mehr noch: Stalin,
vielleicht aus einem nationalistischen Atavismus, betont sein
Russentum und ruft um sich eine Schicht ins Leben, die wir ausrotten
müßten, den Nationalkommunismus im Gegensatz zum
internationalen Kommunismus, den wir darstellen. Er stellt die
Internationale in den Dienst der Sowjetunion, und da die Sowjetunion
ihm dient, in seinen Dienst. Wenn wir eine geschichtliche Parallele
finden wollen, müssen wir auf den Bonapartismus hinweisen, und
wollen wir eine andere Persönlichkeit wie Stalin suchen, so finden wir
keine geschichtlich vergleichbare. Aber ich glaube eine Parallele
gefunden zu haben, wenn ich zwei zusammennehme: Fuché und
Napoleon. Lassen wir bei letzterem seine zweite Lebenshälfte weg,
das Nebensächliche, Uniform, militärische Hierarchie, Krone, alles
Dinge, die Stalin nicht in Versuchung zu bringen scheinen und
zusammen auch keinen Stalin ergeben, und nehmen wir das
Hauptsächliche: die Erwürgung der Revolution, der er nicht dient,
sondern deren er sich bedient, die Gleichsetzung mit dem ältesten
russischen Imperialismus, wie bei Napoleon mit dem gallischen, die
Schaffung einer Aristokratie, zwar keiner militärischen, da er noch
keine Siege hat, sondern auf der bürokratisch-polizeilichen Ebene ...
Kuz.: Genug, Rakowskij, Sie sind ja nicht hier, um trotzkistische
Propaganda zu machen. Werden Sie endlich zum Konkreten kommen?
Rak.: Natürlich komme ich dorthin. Aber wann erreiche ich es, daß
Sie sich einen leichten Begriff von "Jenen" machen, mit denen Sie im
Praktischen und Konkreten zu rechnen haben? Vorher nicht. Daran
liegt mir mehr als daran, bei Ihnen nicht zu scheitern, wie Sie
verstehen werden.
Kuz.: Dann kürzen Sie möglichst bitte ab.
Rak.: Unser Scheitern, das von Jahr zu Jahr deutlicher wird, umfaßt
auch die Tatsache, daß alles, was in der Nachkriegszeit von "Jenen"
für den neuen Angriff der Revolution getan wurde, ohne Ziel blieb.
Der Vertrag von Versailles, der für Politiker und Wirtschaftler so
unerklärlich ist, weil niemand seine wirkliche Zielrichtung ahnte, war
die am meisten entscheidende Voraussetzung für die Revolution.
Kuz.: Die Theorie ist ganz kurios - wie wollen Sie das erklären?
Rak.: Keines Volkes Interesse erforderte die Reparationen und
wirtschaftlichen Einschränkungen von Versailles. Ihre absurde
Berechnung lag so klar auf der Hand, daß sogar die bedeutendsten
Wirtschaftler der Siegervölker sie sogleich angriffen. Nur Frankreich
forderte als Reparationen eine Summe, die größer war als der Wert
seines gesamten Nationalvermögens, so als wäre der ganze Boden
Frankreichs in eine Sahara verwandelt worden. Schlimmer noch war
das irrsinnige Abkommen, auf Grund dessen man Deutschland viel
mehr zu zahlen auferlegte als es konnte, es so im Ganzen verkaufte
und den Gesamtertrag seiner nationalen Arbeit auslieferte. Schließlich
kam man zu dem Ergebnis, der Weimarer Republik ein phantastisches
Dumping aufzuzwingen, wenn sie etwas von den Reparationen
bezahlen wollte. Und was war das Dumping? Unterkonsum, Hunger
in Deutschland, und im gleichen Maße Arbeitseinstellung in den
Einfuhrländern. Und wenn sie nicht einführten, Arbeitslosigkeit in
Deutschland, Hunger und Arbeitslosigkeit im einen oder im anderen
Teil - das ist die erste Folge von Versailles. War also der Versailler
Vertrag nicht revolutionär?
Man tat sogar mehr. Man versuchte, eine gleichmäßige
Leistungsreglementierung auf internationaler Ebene durchzusetzen.
Das bedeutete, die widersinnige Anarchie zu zwingen, das
Ausreichende und für jede Nationalwirtschaft Angemessene zu
produzieren, wobei man jedoch so tat, als seien dafür Klima,
nationaler Rohstoffreichtum und sogar die technische Ausbildung von
Direktoren und Arbeitern bedeutungslos. Bislang lag für die
naturgegebenen Ungleichheiten von Boden, Klima, Rohstoffen
innerhalb der einzelnen Nationalwirtschaften ein Ausgleich immer
darin, daß die ärmeren Länder mehr arbeiten mußten. Nur dadurch,
daß ihre Leistungsfähigkeit stärker ausgeschöpft wurde, vermochten
die ihren Mangel infolge der Armut des Bodens auszugleichen wie
auch die Unterschiedlichkeit in den industriellen Möglichkeiten und
anderen mehr. Ich will mich nicht weiter verbreiten, aber die vom
Völkerbund auferlegte Reglementierung der Arbeit, die sich auf ein
abstraktes Prinzip der Gleichheit des täglichen Leistungspensums
berief, bedeutete in Wirklichkeit innerhalb eines unverändert
gebliebenen kapitalistischen Produktions- und Tauschsystems die
Aufzwingung einer ökonomischen Ungleichheit; sie hieß den Zweck
der Arbeit mißachten, nämlich die ausreichende Produktion. Die
sofortige Wirkung war eine unzureichende Produktion, ausgedrückt
einerseits durch umfangreiche Einfuhren aus den rohstoff- und
industriereichen und gesättigten Ländern, die mit Gold bezahlt
wurden, solange Europa Gold hatte, andrerseits durch eine
Scheinblüte in den USA, die ihre riesige Produktion in Gold und
goldgedeckte Scheine einhandelten, in denen sie schwammen. Wie
jede Anarchie der Produktion - und eine solche wie damals hatte man
überhaupt noch nicht erlebt! - hat die Finanz, haben "Jene", sie
ausgebeutet, unter dem Vorwand, sie mit einer noch größeren
Anarchie zu heilen, nämlich der Inflation des amtlichen Geldes und
einer noch hundertmal größeren Inflation ihres eigenen Geldes, des
Kreditgeldes, des falschen Geldes. Erinnern Sie sich der
aufeinanderfolgenden Abwertungen bei vielen Völkern, der deutschen
Abwertung, der amerikanischen Krise und ihrer trefflichen
Wirkungen? Ein Rekord an Arbeitslosigkeit, mehr als dreißig
Millionen Arbeitslose allein in Europa und USA, waren die Folge.
Glauben Sie nun, daß der Versailler Vertrag und der Völkerbund
Voraussetzungen für die Revolution waren?
Kuz.: Das mag sein, ohne daß es beabsichtigt war; Sie können mir
nicht beweisen, warum sie vor der logischen Weiterentwicklunng der
Revolution und dem Kommunismus zurückweichen und warum sie
darüber hinaus eine Front mit dem Faschismus bilden, der in Italien
und Europa triumphiert. Was antworten Sie nun?
Rak.: Wenn man die Existenz und das Ziel von "Jenen" außer Betracht
lassen wollte, hätten Sie ganz recht. Aber man darf ihre Existenz und
ihre Zielsetzung nicht vergessen, genau so wenig wie die Tatsache,
daß Joseph Stalin die Macht in der Sowjetunion innehat.
Kuz.: Ich sehe keine Verbindung dazwischen.
Rak.: Weil Sie nicht wollen! Hinweise und Anhaltspunkte sind doch
reichlich da! Ich wiederhole noch einmal: Stalin ist für uns ein
Bonapartist, kein Kommunist.
Kuz.: Aber der Faschismus ist doch wesenhafter Antikommunismus,
sowohl gegen den stalinistischen als auch gegen den trotzkistischen
Kommunismus! Und wenn die Macht "Jener" so groß ist, warum
haben sie ihn nicht verhindert?
Rak.: Weil jene es waren, die Hitler triumphieren ließen.
Kuz.: Jetzt übertreffen Sie alle Rekorde an Absurdität.
Rak.: Das Absurde und das
bildungsmäßiger Unfähigkeit.
Wunderbare
verschmelzen
bei
Hören Sie mich: Ich habe schon das Scheitern der Opposition
anerkannt. "Jene" erkannten am Ende, daß Stalin durch einen
Staatsstreich nicht gestürzt werden konnte. Und ihre geschichtliche
Erfahrung diktierte ihnen eine andere Lösung. Mit Stalin dasselbe zu
machen wie einst mit dem Zaren. Eine Schwierigkeit bestand jedoch,
die uns unüberwindlich schien: Es gab in ganz Europa kein Land, das
die Invasion hätte durchführen können; keines besaß eine
entsprechende geographische Lage oder ein ausreichendes Heer für
einen Einmarsch in die Sowjetunion. Da es den Gegner nicht gab,
mußten "Jene" ihn schaffen. Nur Deutschland war bevölkerungsmäßig
und strategisch in der Lage, um in Sowjetrußland einzufallen und
Stalin Niederlagen zuzufügen. Aber, wie Sie verstehen werden, war
die Republik von Weimar nicht so angelegt, daß sie andere hätten
angreifen können, sondern so, daß andere sie angreifen konnten.
Und am Himmel des deutschen Hungers begann das flüchtige Gestirn
Hitlers zu erglänzen. Ein scharfsinniges Auge richtete sich darauf. Die
Welt hat seinen fulminanten Aufstieg bewundert. Ich will nicht sagen,
daß
das
alles
unser
Werk
gewesen
wäre.
Die
revolutionär-kommunistische Wirtschaft von Versailles führte ihm
immer größere Massen zu. Auch wenn sie nicht eingerichtet worden
wäre, um Hitlers Sieg herbeizuführen - die Voraussetzung, die
Versailles für Deutschland schuf, waren Verproletarisierung, Hunger
und Arbeitslosigkeit, und die Folge davon hätte der Triumph der
kommunistischen Revolution sein sollen. Weil jedoch diese durch
Stalins Führung der Sowjetunion und der Internationale vereitelt
worden war und man Deutschland nicht dem neuen Bonaparte
überlassen wollte, milderten der Dawes- und Young-Plan diese
Voraussetzung etwas, in der Erwartung, daß in Rußland die
Opposition siegen würde. Als dies nicht eintrat, mußten die
Voraussetzungen, die man geschaffen hatte, ihre Folgen haben: Der
wirtschaftliche Determinismus in Deutschland zwang seinem
Proletariat die Revolution auf. Da durch Stalins Schuld die sozialinternationale Revolution verhindert worden war, stürzte sich das
deutsche Proletariat in die nationalsozialistische Revolution. Das war
ein dialektisches Faktum.
Aber trotz aller Voraussetzung und Begründung hätte die
nationalsozialistische Revolution niemals siegen können. Es fehlte ihr
dazu mehr. Es war nötig, daß auf Grund von Anweisungen die
Trotzkisten und Sozialisten die Massen spalteten, die ein waches und
intaktes Klassenbewußtsein hatten. Schon dabei haben wir
eingegriffen.
Aber es war noch mehr nötig. Im Jahre 1929, als die
Nationalsozialistische Partei an ihrer Wachstumskrise litt und ihr die
Geldmittel ausgingen, sandten "Jene" ihm einen Botschafter; ich
kenne sogar seinen Namen, es war ein Warburg. In unmittelbaren
Verhandlungen mit Hitler einigt man sich über die Finanzierung der
Nationalsozialistischen Partei, und Hitler bekommt in ein paar Jahren
Millionen von Dollars, die Wallstreet sendet, und Millionen von
Mark, diese durch Schacht: die Erhaltung von SA und SS und die
Finanzierung der folgenden Wahlen, die Hitler die Macht bringen,
geschieht mit Dollars und Mark, die "Jene" schicken.
Kuz.: Die nach Ihrer Darstellung einen vollkommenen Kommunismus
erstreben und ausgerechnet einen Hitler bewaffnen, welcher schwört,
das erste kommunistische Volk auszurotten. Wenn ich das glaube, ist
schon allerlei "Logik" bei den Finanzleuten!
Rak.: Sie vergessen wieder den Bonapartismus von Stalin. Erinnern
Sie sich, daß gegenüber Napoleon, dem Erwürger der Französischen
Revolution selbst ein Ludwig XVIII., ein Wellington, Metternich, ja
sogar der autokratische Zar objektiv revolutionär waren. Das ist beste
stalinistische Lehre. Sie werden seine Thesen über das Verhalten von
Kolonien gegenüber den imperialistischen Mächten auswendig
können. Danach sind objektiv der Emir von Afghanistan und König
Faruk Kommunisten, weil Sie gegen Seine Britische Majestät
kämpfen - warum sollte denn nicht auch Hitler in seinem Kampfe
gegen den autokratischen Zaren "Koba I." objektiv Kommunist sein?
Und endlich, ohne Abschweifungen: hier haben Sie Hitler mit
wachsender militärischer Macht, der sein Drittes Reich ausdehnt, und
was er noch hinzufügen wird - bis er die notwendige Macht hat, um
Stalin anzugreifen und völlig stürzen zu können. Sehen Sie nicht die
allgemeine Zahmheit der Wölfe von Versailles, die sich auf
schwaches Knurren beschränken? Ist das vielleicht auch Zufall? Hitler
wird in der UdSSR einbrechen und so wie 1917 die Niederlagen des
Zaren uns dazu dienten, diesen hinauszuwerfen, so werden die
Niederlagen Stalins uns dienen, ihn hinauszuwerfen und zu ersetzen.
Und die Stunde der Weltrevolution schlägt wieder. Denn die
demokratischen Nationen, die heute eingeschläfert sind, werden,
sobald Trotzkij wieder die Macht ergreift, wie einst im Bürgerkrieg
einen allgemeinen Wechsel spüren. Dann wird Hitler vom Westen her
angegriffen werden, seine Generale werden sich erheben und ihn
liquidieren ... Wird dann Hitler objektiv kommunistisch gehandelt
haben oder nicht?
Kuz.: Ich glaube weder an Fabeln noch an Wunder!
Rak.: Also, wenn Sie nicht glauben wollen, daß "Jene" fähig sind, zu
verwirklichen, was sie verwirklicht haben, bereiten Sie sich vor, den
Einmarsch in die Sowjetunion und das Ende Stalins noch vor einem
Jahre zu erleben. Ob Sie es für ein Wunder oder einen Zufall halten,
bereiten Sie sich vor, es zu erleben und zu erleiden. Aber sind Sie
wirklich fähig, sich einfach zu weigern, das zu glauben, was ich Ihnen
gesagt habe, sei es auch nur als Hypothese?
Kuz.: Gut, sprechen wir hypothetisch. Was regen Sie an?
Rak.: Sie haben zuerst auf unsere Übereinstimmung hingewiesen. Uns
interessiert der Angriff auf die Sowjetunion nicht: denn der Sturz
Stalins würde das Zusammenbrechen dieses Kommunismus bedeuten,
der, selbst wenn er formal ist, uns doch angeht, denn wir sind
überzeugt, daß es uns noch einmal gelingen wird, ihn zu stürzen und
ihn in einen echten Kommunismus zu verwandeln. Ich glaube, genau
die Synthese des gegenwärtigen Augenblicks gegeben zu haben?
Kuz.: Ausgezeichnet! - Lösung?
Rak.: Vor allem müssen wir dafür sorgen, daß die potentielle Gefahr
eines Angriffs durch Hitler verschwindet.
Kuz.: Wenn, wie Sie versichern, "Jene" es gewesen sind, die ihn zum
"Führer" gemacht haben, müssen sie Macht über Hitler haben, daß er
ihnen gehorcht.
Rak.: Da ich mich wegen der Eile nicht gut ausgedrückt habe, so
haben Sie mich nicht gut verstanden. Wenn es auch stimmt, daß
"Jene" ihn finanziert haben, so haben sie doch weder seine Existenz
noch sein Ziel entdeckt. Der Abgesandte Warburg kam zu ihm mit
falschem Namen, es scheint nicht einmal, als ob Hitler seine
Rassenzugehörigkeit erraten habe; außerdem log er über diejenigen,
die er vertrat. Er sagte, er sei von einer Finanzgruppe der Wallstreet
abgesandt, die daran interessiert sei, die nationalsozialistische
Bewegung als eine Drohung gegen Frankreich zu finanzieren, dessen
Regierung eine Finanzpolitik verfolge, die die Wirtschaftskrise in den
USA hervorrufe.
Kuz.: Und glaubte Hitler das denn?
Rak.: Das wissen wir nicht. Es kam auch nicht darauf an, daß er die
Gründe glaubte, unser Ziel war, daß er triumphieren sollte, ohne ihm
irgendeine Bedingung aufzuerlegen. Das wirkliche Ziel, unser Ziel
war, den Krieg zu provozieren - und Hitler war der Krieg, begreifen
Sie?
Kuz.: Ich verstehe. Danach aber sehe ich kein anderes Mittel, ihn
zurückzuhalten, als ein Bündnis der Sowjetunion und der
demokratischen Völker, das Hitler einschüchtern könnte. Wie ich
glaube, ist er doch nicht stark genug sich zur gleichen Zeit gegen alle
Staaten der Welt zu wenden, wohl dagegen durchaus stark genug,
einen nach dem anderen ...
Rak.: Kommt Ihnen das nicht als eine allzu einfache, fast möchte ich
sagen, kontrarevolutionäre Lösung vor?
Kuz.: Um einen Krieg gegen die Sowjetunion zu vermeiden?
Rak.: Schneiden Sie diesen Satz in der Mitte entzwei: "einen Krieg zu
vermeiden", ist das nicht völlig kontrarevolutionär? Denken Sie nach:
jeder echte Kommunist muß in Nachahmung seines Idols Lenin und
der anderen großen revolutionären Strategen immer den Krieg
wünschen. Nichts beschleunigt so den Sieg der Revolution wie der
Krieg. Das ist ein marxistisch-leninistisches Dogma, zu dem Sie sich
bekennen müßten. Also - dieser stalinistische Nationalkommunismus,
dieser Bonapartismus ist fähig, den Verstand der reinsten
Kommunisten derartig zu verdunkeln, daß sie die Umkehrung gar
nicht mehr erkennen, der Stalin verfällt, nämlich die Revolution der
Nation unterordnen, statt die Nation der Revolution!
Kuz.: Ihr Haß gegen Stalin verblendet Sie und verwickelt Sie in
Widersprüche. Waren wir nicht darin einig geworden, daß ein Angriff
auf die Sowjetunion nicht wünschenswert sei?
Rak.: Und warum muß der Krieg denn notwendigerweise gegen die
Sowjetunion gerichtet sein?
Kuz.: Welches andere Volk könnte Hitler denn sonst angreifen? Es ist
doch ganz klar, daß er seinen Angriff gegen die Sowjetunion richten
wird, wie seine Reden es ankündigen. Was für Beweise wollen Sie
noch dafür?
Rak.: Und wenn Sie und die Männer im Kreml das so fest und
diskussionslos glauben, warum haben Sie dann eigentlich den
Bürgerkrieg in Spanien provoziert? Sagen Sie mir nicht, das sei aus
rein revolutionären Gründen geschehen. Stalin ist gar nicht fähig,
irgendeine marxistische Theorie zu verwirklichen. Wäre es ein
revolutionärer Grund gewesen, so wäre es nicht korrekt gewesen, in
Spanien so und so viel ausgezeichnete internationale revolutionäre
Kräfte zu verheizen. Es ist das Volk, das der Sowjetunion am fernsten
lebt, und die elementarste, strategische Bildung konnte nicht raten,
dort die Kräfte zu vertun. Im Konfliktsfall aber, wie hätte Stalin eine
spanische Sowjetrepublik versorgen und militärisch stützen können?
Aber ich bleibe ernst: von einem anderen Gesichtspunkt aus waren
Revolution und Krieg in Spanien richtig. Dort ist ein wichtiger
strategischer Punkt, ein Kreuzweg der sich schneidenden Einflußlinien
der kapitalistischen Mächte - man hätte somit einen Krieg unter diesen
provozieren können! Ich erkenne an: das war theoretisch richtig, aber
nicht in der Praxis. Sie sehen bereits, daß der Krieg zwischen dem
demokratischen und dem faschistischen Kapitalismus nicht ausbricht.
Und ich sage Ihnen jetzt: wenn Stalin sich für fähig hielt, von sich aus
ein Motiv zu schaffen, das geeignet wäre, den Krieg unter den
kapitalistischen Nationen zu provozieren, warum sollte man nicht
theoretisch annehmen dürfen, daß andere das auch erreichen könnten?
Kuz.: Läßt man die Voraussetzungen gelten, kann man hier auch die
Hypothese zulassen.
Rak.: Also, das gibt einen weiteren Punkt, in dem wir
übereinstimmen. Erstens, daß es keinen Krieg gegen die Sowjetunion
geben soll, zweitens, daß man ihn unter den bürgerlichen Nationen
hervorrufen muß.
Kuz.: Einverstanden. Sagen Sie das als persönliche Meinung oder als
Meinung von "Jenen"?
Rak.: Als meine Meinung. Ich habe weder Auftrag noch Verbindung
mit "Jenen", aber ich kann versichern, daß sie in diesen beiden
Punkten mit dem Kreml übereinstimmen.
Kuz.: Es ist wichtig, das von vorneherein festzulegen, denn es ist die
Hauptsache. Dennoch möchte ich gern wissen, worauf Sie sich
berufen, um die Sicherheit zu haben, daß "Jene" zustimmen.
Rak.: Wenn ich Zeit genug gehabt hätte, ihren ganzen Plan
darzustellen, wüßten Sie schon die Gründe, warum sie zustimmen.
Heute will ich nur drei davon nennen.
Kuz.: Welche sind das?
Rak.: Einer ist, wie ich schon erwähnt habe, daß Hitler, dieser
ungebildete Elementarmensch, aus natürlicher Intuition und sogar
gegen die technische Opposition von Schacht, ein höchst gefährliches
Wirtschaftssystem geschaffen hat. Als Analphabet in jeder
Wirtschaftstheorie, nur der Notwendigkeit gehorchend, hat er, wie wir
es in der Sowjetunion gemacht haben, die internationale wie die
private Finanz ausgeschaltet. Das heißt, er hat sich selber wieder das
Privileg, Geld zu machen, angeeignet, und zwar nicht nur physisches
Geld, sondern auch Finanzgeld; er hat die intakte Maschine für
Falschgeldherstellung an sich genommen und läßt sie nun für den
Staat laufen. Er hat uns überholt, denn wir haben diese in Rußland
unterdrückt und lediglich durch einen groben Apparat, genannt
Staatskapitalismus ersetzt; das war ein sehr teurer Sieg für die
notwendige vorrevolutionäre Demagogie. Das sind die beiden
Wirklichkeiten, wenn man sie vergleicht. Das Schicksal hat Hitler
sogar begünstigt; er besaß fast kein Gold und so konnte er gar nicht in
Versuchung geraten, es zu seiner Währungsgrundlage zu machen. Da
er als einzige Sicherheit für sein Geld nur über die technische
Begabung und die machtvolle Arbeitskraft der Deutschen verfügte,
wurden Technik und Arbeit sein Goldschatz, etwas so wesenhaft
Gegenrevolutionäres, daß es, wie Sie wissen, radikal wie durch
Zauberkunst jene Arbeitslosigkeit von mehr als sieben Millionen
Technikern und Arbeitern beseitigte.
Kuz.: Durch die beschleunigte Aufrüstung.
Descargar el documento (PDF)
Rakowski Protokoll.pdf (PDF, 565 KB)
Documentos relacionados
Palabras claves relacionadas
macht
seine
revolution
durch
einen
stalin
sowjetunion
schon
trotzkij
einer
werden
ihnen
nicht
kommunismus
haben